Gestern sind wir auf der Aurelia Richtung Osten gefahren, heute fahren wir Richtung Westen, nach Genua. Immer am Meer entlang, mit tollen Tiefblicken, um dann durch das Gewusel Genuas den Monte Fasce von hinten zu nehmen. Unser traditionelles Pausenlokal nach dem Gewusel hat leider nach dem Lockdown nicht mehr aufgemacht. Weder das Telefon noch die Website sind mehr konnektiert. Daher müssen wir heute improvisieren, was mit unterschiedlichem Glück gelingt. Die von Gruppe 1 angesteuerte Bar liefert den Caffè schnell, Gruppe 2 muss eine Stunde warten, Gruppe 3 findet neben der alten Pausenstätte einen kleinen Jahrmarkt mit Cola und gebrannten Mandeln.
Und dann sehen wir plötzlich ein Regengebiet über dem Golf von Genua auf uns zukommen. Das wird uns doch nicht etwa erreichen? Heute Abend ist es mir klar, aber in der Situation konnten wir noch nicht wissen, dass es die Rachewolke der Pyrenäenklassiker ist, die zwar vielleicht mit Tom den flüssigeren Etappenberichtsschreiber haben, aber auch den deutlich flüssigeren Niederschlag am Port de Balès. Aber wir sind ja nicht so und ertragen den Nebel mit stoischer Gelassenheit, der sich über uns am Monte Fasce zusammen schiebt, während wir die Blicke auf die unter uns immer kleiner werdende Großstadt Genua genießen, aufs Meer, das Hafenbecken, die Stadt.
Hier schlage ich Philipp vor, seine Drohne raus zu holen, und mit Marco ist auch schnell ein erfahrenes Model für die Aufnahmen gefunden. Aber leider ist Torben weit enteilt, und in seiner Trikottasche steckt die Fernbedienung des Flugobjekts. Also weiter, nach oben, zum Monte Fasce. Am Abzweig zum Gipfel mit seinen schon von weithin sichtbaren Sendemasten pfeift ein empfindlicher Wind, wir sind schweißnass vom Anstieg, und der Gipfel hängt in den Nebelschwaden. Aber alle sind hochgefahren, und die Wahl zwischen Hochfahren auf der schlaglochschwangeren Dreckspiste und Warten im Gipfelwind erscheint wie Pest und Cholera. Ich entscheide mich trotz anderslautender Nachricht in die WhatsApp-Gruppe für die Pest und stiefel Marco und Philipp zum Gipfel hinterher. So steil ist es gar nicht, sicherlich nicht mehr als 20 %. Aber der Belag ist eigentlich keine Schlaglochpiste mehr, sondern vielmehr eine Mondlandschaft mit einzelnen Asphaltresten. Und: oh Wunder, oben gibt es doch noch etwas Ausblicke auf Genua, und auf zwei Gestalten, die auf einem umgestürzten Sendemast ihr Fahrrad in den Himmel recken. Der eine ist Marco, der andere ein Italiener, der seinen Mitstreiter mit einem
Un Altro come lui! zu einem weiteren Foto auffordert.
Wir wollen uns eigentlich in der Trattoria Cornua zum Mittagessen treffen, und dahin habe ich Oswald, meinen Südtiroler Sprachattaché, schon vorgeschickt. Es erreichen uns auch Nachrichten in die Gruppe, dass er zwei weitere vagabundierende Gruppenmitglieder aka Dragan und Torben eingesammelt und zum Café geführt hat. Leider aber nicht in das richtige, denn in der Trattoria
non ci sono altri ciclisti. Kein anderer Radfahrer da, beteurt mir der Wirt, mit dem ich heute morgen noch gesprochen habe, um unser Kommen anzukündigen. Aber Oswald verkündet, in der Albergo Caprile gäbe es auch was zu essen. Also hinterher. Immer noch reichlich kühl setzen wir uns auf die Terrasse und bestellen Trofie al Pesto und Ravioli al Ragù, aber reichlich. Was auch schon nach einer Stunde kommt und nach fünf weiteren Minuten verspeist ist. Unser Bild einer leeren Platte erregt Missfallen in Gruppen 2 und 3, die zwar die richtige Trattoria, aber dort entgegen anderslautender Beteuerungen nichts zu essen gefunden haben.
Also bestellen wir noch mehr Essen für 15 weitere Radfahrer (non sto scherzando - nein, ich scherze nicht muss die arme Ginevra dem Küchenteam durchgeben). Als wir gerade aufbrechen wollen, kommen die ausgehungerten und durchgefroreren Gruppen zwei und drei gerade an, werden aber wohl von Ginevras Crew aufs Beste wieder aufgepeppelt.
Wir stürzen uns hinab ins Fontanabuona, und ich kann es kaum glauben - die Straße wurde neu gemacht, wie die komplette Via Aurelia. Was ist auf einmal los in Ligurien? Nur unten ist noch ein wenig vom ruppigen Belag übrig. Im Fontanabuona das gleiche Bild: im Wesentlichen neue Straßen. Ich fühle mich wie im Radsporthimmel.
In Calvari entscheiden wir uns erstmalig seit Menschengedenken gegen den Caffè, und für ein sofortiges Starten in den Berg, weil wir noch so kalt sind, und genug gewartet haben. Ich liebe den Romaggi, auch wenn ich ihn nicht so anspruchsvoll in Erinnerung habe. Aber Kehre um Kehre, Kurve um Kurve kommen die Erinnerungen zurück. An die wunderbare Meersicht auf die Bucht von Sestri Levante, auf die schöne Gratüberfahrung in Romaggi, und an die beiden 15 %-Rampen auf den letzten Metern zum Gipfel, wo meine Gruppe mich auf der Straße sitzend erwartet. "Du hast schonmal schneller Reifen gewechselt", ätzt Marco. Womit er auch noch recht hat. Geht ja gar nicht. Immerhin bin ich trotz Reifenpanne nur 3 Minuten langsamer als meien Bestzeit, was ja schonmal nicht auf ganz grottenschlechtes Reifenwechseln schließen lässt.
Diverse Trinkflaschen sind schon wieder leer, so auch meine, und so biegt das Trüffelschwein Marco nach links in den Ort Cichero ab, in der es zwar keine
Fontana, aber einen
Rubinetto gibt. "Als würde da Café rauskommen, so zielsicher hast du ihn angesteuert", lobe ich Marco. "Weil Wasser ja auch die Vorstufe zum Café ist", sagt Marco und nimmt drei Cafébohnen aus seinem Trikot, um den leichten Chlorgeschmack des Wassers damit zu überspielen.
Und jetzt sind wir schon gleich im Valle Sturla und gleich darauf in Carasco. Leivi geht immer, und über die Panoramica zum Schmutzbier ans Meer.
Was können die Pyrenäen-Klassiker unserem für morgen bestens angekündigten Wetter entgegensetzen?
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Wem der Tag noch zu jung ist, der kann noch den wunderschönen Passo di Romaggi anhängen, der viel zu häufig zu kurz kommt auf unseren Touren. Absolut empfehlenswert!
+15 km, 650 Hm