22.04.2019,
majortom:
Es beginnt wie so häufig mit einer beiläufig gestellten Frage, diesmal in einer Strandbar in Finale Ligure während unserer vergangenen Ligurien-Woche. Natürlich werde ich als einer der Streckenplaner im quäldich-Kosmos oft nach vergangenen und noch kommenden quäldich-Reisen gefragt. Und so kam die Sprache unter anderen auch auf unsere Grand Tour Garmisch-Rom, die vom 5. bis zum 16. Juni stattfindet. Die Frage, die mir gestellt wird, ist simpel: „Was liegt eigentlich genau zwischen den Alpen und dem Kolosseum?“ Auch die Antwort ist einfach: „Der Apennin!“ Doch dieses Schlagwort alleine beantwortet die Frage vielleicht noch nicht ganz...
Wie berechtigt die Frage ist, wird mir klar, als ich mich ungefähr 18 Monate zurück versetze, als die ersten Ideen von einer Grand Tour in die „Ewige Stadt“ Rom aufkommen. Meine Streckenkenntnis: gleich null. Meine Erwartung: Der Weg ist das Ziel, und irgend etwas schönes wird sich schon finden lassen. Meine Idee: Wir toben uns über ein paar Etappen in den Alpen aus, so dass alles, was danach kommt, ein netter Bonus ist.
Müßig zu sagen, dass dieser erste Plan nicht einmal der ersten konkreten Recherche stand hält. Maximal zehn Etappen haben wir zur Verfügung, und der frühe Reisezeitpunkt im Juni (in der Hitze des Hochsommers will man wohl eher nicht durch Mittelitalien fahren) bedingt, dass wir so schnell wie möglich auf die Alpensüdseite fahren: mit einer langen Etappe von Garmsich über den Brenner nach Brixen. Also verschob sich der Fokus rasch von den Hochalpen weiter nach Süden. Und so will ich die oben gestellte Frage, nach meiner Scouting-Tour im vergangenen Jahr, exemplarisch mit den drei Höhepunkten südlich des Alpenhauptkamms beantworten. Es sind drei „Monti“ – der Monte Grappa am Südrand der Alpen, der Monte Nerone in den Marken, und der Monte Terminillo, quasi schon vor den Toren von Rom.
Der Monte Grappa
Der Begriff „Grappa“ ohne „Monte“ ist wohl jedem Sportsfreund bekannt, der in der Pizzeria um die Ecke vom Wirt seines Vertrauens mal einen Digestif ausgegeben bekommen hat. Uns geht es jedoch um den Berg, 1775 m hoch, ein Vorposten der Alpen im Veneto, kurz bevor das Gebirge in die Poebene übergeht.
Für unseren Scouting-Trip sind Paul und ich nach Trento angereist, was abseits der geplanten Route liegt, und aber einen bequemen Einstieg ermöglicht. Wir fahren bei sommerlichen Bedingungen das Valsugana nach Osten, sind mitten in den Alpen unterwegs. So richtig vorbereitet habe ich mich nicht auf die heutige Etappe, und so stehen wir nachmittags am Fuß des Monte Grappa und haben 28 km und 1600 Höhenmeter vor uns. Vergleiche mit dem Mont Ventoux in der Provence tun sich auf, aber ich mag solche Vergleiche eigentlich nicht. Auf jeden Fall ist der Monte Grappa ein großes Kaliber, unrhythmische Rampen, aber mit zunehmender Höhe auch mehr und mehr alpine Idylle und herrliche Ausblicke. Die erste Gewitterzelle sitzen wir in einem Rifugio aus, dann geht es weiter zum Gipfel. Es ist kalt hier oben, unwirtlich, aber die Euphorie hält uns warm, als wir die finale Stichstraße Richtung Gipfel hinauf fahren. Tausende Soldaten sind hier einer der blutigen Schlachten des ersten Weltkriegs zum Opfer gefallen, wir dagegen sind in einer friedlichen, völkerverbindenden Mission unterwegs. Und genießen staunend die Ausblicke hinab in die endlose Weite der Poebene. Beeindruckender können sich die Alpen auf der Grand Tour kaum verabschieden.
Der Monte Nerone
Ein paar Tage später, wir haben die Poebene durchquert, an der Adria Station gemacht, haben das Gebiet des berüchtigten Radmarathons Nove Colli durchfahren, haben im Nieselregen an Marco Pantanis Lieblingsberg, dem Monte Carpegna, gekniffen. Nun sind wir in den Marken angelangt. Es ist das einsame, unbekannte, dünn besiedelte Italien, in dem wir angekommen sind, kein Vergleich zum Trubel in Südtirol oder den Dolomiten beispielsweise.
Und schon wieder müssen wir uns mit einem Ventoux-Vergleich auseinandersetzen, wird der 1525 m hohe Monte Nerone doch auch
il Ventoux delle Marche genannt. Was wohl durch die drei versichedenen Auffahrtsvarianten kommt. Auf unserem Speiseplan steht nur eine Variante, die südwestliche. Sie soll als Stichstraße befahren werden, so dass Paul sich für eine Kaffeepause entschließt und mir anbietet, solange in Serravalle di Carda auf mein Gepäck aufzupassen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, und vom Joch des Rucksacks und der Satteltasche befreit fliege ich (gefühlt) den Anstieg hinauf, genieße die hervorragende Aussicht, die sich schon auf den ersten Kehren über die Bergwelt des Apennin ergibt. Ein Stück fahre ich mit Roberto, einem einheimischen Rennradfahrer, der dann jedoch auf den Rest seiner Gruppe wartet. So dass ich am Gipfel schließlich alleine im Nebel stehe. Sichtweite so gut wie null. Aber nicht auszudenken, was für eine herrliche Aussicht man hier bei klarem Wetter haben muss...
Der Monte Terminillo
Vorletzte Etappe, wir sind schon vor den Toren von Rom. Hier erwartet uns mit der Sella di Leonessa (1900 m) der höchste Passübergang des gesamten Apennin. 1900 m Höhe sind natürlich quasi-alpine Ausmaße, deshalb ist die Erwartung hoch. Unweit der Passhöhe liegt der Gipfel des Monte Terminillo, 2217 m hoch, auch ein Skigebiet trägt diesen Namen, so dass der oft beim Giro dItalia oder Tirreno-Adriatico befahrene Pass auch häufig so genannt wird.
Es ist sommerlich heiß, als wir in Leonessa die fast 1000 Höhenmeter in Angriff nehmen, doch die umliegenden Gipfel sind noch in Schnee gehüllt. Während die untere Hälfte eher unspektakulär im Wald verläuft, können wir oben nur noch staunen über das alpine Flair dieses Passes. Durch felsige, karge Landschaft schlängelt sich die schmale Straße – ein Traum! Und das sozusagen schon in Sichtweite von Rom. Den Triumph an der Passhöhe kosten wir so richtig aus... Bei Garmisch-Rom übernachten wir im Skigebiet Terminillo auf der Südseite des Gipfels und genießen die rauschende Abfahrt nach Rieti am folgenden Morgen. Und stehen am Nachmittag schon vor dem Kolosseum!