quäldich-Rennradreisen sind ein Erlebnis. Die bewährten Zutaten sind die grandiosen Landschaften der europäischen Hochgebirge und ihrer Pässe, sowie die sportliche Herausforderung. Doch das Salz in der Suppe ist oftmals, dass quäldich-Reisen tief in die Gastregion eintauchen – nicht zuletzt beim Abendessen, wo wir regionale Spezialitäten und Besonderheiten immer bevorzugen. Kulinarische Highlights der quäldich-Reisen werden wir daher in loser Folge auch in unserem Reise-Blog vorstellen. Herzlich willkommen zu ravitaillement, der quäldich-Küchen-Kolumne. Heute: Tartiflette.
„Es ist fettig, es ist mächtig, und es ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was man am Abend vor einer schweren Bergetappe mit dem Rennrad essen möchte.“ So kündige ich für gewöhnlich auf einer Rennradreise in den Savoyer Alpen den Abend an, an dem es Tartiflette zu Essen gibt, einen mit lokalem Käse überbackenen Kartoffelauflauf. Ein Satz, der ein aber provoziert, das ich dann natürlich auch schnell hinterher schiebe: „Aber es ist das inoffizielle Nationalgericht von Savoyen. Und es ist einfach verdammt lecker.“ Meistens ist es so, dass ich mir zu diesem Zeitpunkt einer Reise bereits einen gewissen Vertrauensvorschuss erarbeitet habe, und alle sich der Tartiflette gegenüber aufgeschlossen zeigen, sich sogar darüber freuen. Enttäuscht wurden bisher noch die wenigsten. Einmal Tartiflette bei Savoyen-Reisen – muss sein.
Die Savoyer Alpen sind für ihren Käse berühmt, und das inoffizielle Nationalgericht Savoyens enthält eine der berühmten lokalen Käsesorten. Den Reblochon. Einen cremigen und würzigen Kuhmilch-Käse mit leicht rötlicher Rinde, der in runden, flachen Laiben mit etwa 15 cm Durchmesser hergestellt wird. Dem Namen nach ein Steuerhinterziehungs-Käse. Um weniger Abgaben zahlen zu müssen, wurden die Kühe früher nach der Kontrolle erneut gemolken, und aus dieser fettreichen Milch der Käse hergestellt. Reblocher bedeutet so viel wie „erneut melken“. Dass es sich bei der Tartiflette um das jahrhundertealte Rezept handelt, wie Reblochon in der traditionellen Küche verwendet wird, ist allerdings eine Illusion. Tatsächlich stammt das Rezept aus den 1980er-Jahren und wurde von einer Genossenschaft entwickelt, um den Reblochon besser vermarkten zu können. Ungeachtet dessen hat die Tartiflette seitdem einen beachtlichen Siegeszug angetreten und ist von der Speisekarte von savoyardischen Skihütten nicht mehr wegzudenken. Als bodenständiges, rustikales soul food passt die in einer kleinen Eisenpfanne servierte Tartiflette perfekt in die kalte Jahreszeit. Und natürlich auch ins Ambiente einer Skistation in der Sommersaison, wenn sie von Rennradfahrern statt von Alpinskiläufern bevölkert wird.
Möchte man eine Tartiflette zuhause nachkochen, ist das offensichtliche Problem, den richtigen Käse zu finden. Gut sortierte Käsetheken und -läden sollten aber auch in Deutschland Reblochon führen, auch wenn er hierzulande kein Bestseller zu sein scheint. Ich werde an der Käsetheke meines Vertrauens jedenfalls immer ganz ungläubig angeschaut, wenn ich einen ganzen 500-Gramm-Reblochon bestelle. Am Käse sollte man bei der Tartiflette jedoch nicht sparen. Und wenn man keinen Reblochon bekommt, braucht man auch nicht zu verzweifeln. In den Vogesen habe ich auch schon „Munstiflette“ auf Speisekarten gesehen – mit dem lokalen Munster statt Reblochon. Tartiflette lässt sich also auch variieren.
Normalerweise bin ich kein Freund davon, für Vegetarier einfach eine Fleisch-Komponente ersatzlos zu streichen. Bei der Tartiflette halte ich den Speck in der hier vorgestellten Variante jedoch für absolut verzichtbar, da der Geschmack des Gerichts vom Käse kommt. Tatsächlich hat mir Valérie, die Besitzerin des ehemaligen Restaurants Passe Montagne in Alpe d'Huez, einmal gesagt, dass das Original-Rezept aus dem Aravis-Gebirge (wo Valérie aufgewachsen ist) gar keinen Speck enthält. Da ich die specklose vegetarische Variante bislang nur im Passe Montagne gegessen habe, scheint das wohl ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein. Macht aber nichts, ich finde, man kann ruhig auch mal als Nicht-Vegetarier mal die Variante ohne Speck probieren. Da es das Passe Montagne inzwischen nicht mehr gibt, lassen wir Tartiflette bei unseren Reisen nun immer in Lanslebourg-Mont-Cenis servieren, wo das Hotel-Restaurant einige savoyardische Spezialitäten auf der Karte hat.
Ein inoffizielles Nationalgericht gibt es immer in zahllosen Varianten. Das hier vorgestellte Rezept hat mir leider kein Savoyardischer Chefkoch zugeflüstert; es handelt sich stattdessen um meine eigene Adaption des Gerichts, nachdem ich vier Jahre lang in Hochsavoyen gelebt habe. Meine ursprüngliche Inspirationsquelle war das Rezept aus dem Buch „Alpenküche – Genuss und Kultur“ von Susanna Bingemer und Hans Gerlach. Bon appétit.
Zutaten:
(große Auflaufform für ca. 6 Personen)
1,5 kg festkochende Kartoffeln
1 große Zwiebel
1-2 Knoblauchzehen
150 g geräucherter Speck
1 Reblochon, ca. 500 g
200g Sahne
200 g Crème fraîche
Salz, Pfeffer
Zubereitung:
1. Kartoffeln schälen und in ca. 1 mm dicke Scheiben schneiden. Speck in Würfel schneiden. Zwiebel grob würfeln. Knoblauch fein hacken
2. Speck mit ein wenig Butterschmalz kross anbraten, dabei Speckfett auslassen. Zwiebel dazugeben und mitbraten; sie soll ruhig ein wenig Farbe nehmen dabei. Dann Speck und Zwiebeln aus der Pfanne nehmen und die rohen Karoffelscheiben für ca. 10 Minuten bei mittlerer Hitze im Speckfett anbraten, zwischendurch wenden. Zum Schluss Speck und Zwiebeln wieder mit dem Knoblauch dazu geben und durchmischen.
3. Währenddessen Sahne und Crème fraîche verrühren, kräftig salzen und pfeffern. Das rote Wachssiegel aus dem Käse schneiden (ist unter der weißen Edelschimmel-Schicht nicht immer leicht zu erkennen). Den Käse vierteln und die Viertel dann nochmal längs halbieren.
4. Die Kartoffeln in einer Auflaufform verteilen. Den Käse mit der Rinde nach oben auf die Kartoffeln legen und mit der Sahnemischung übergießen.
5. Die Tartiflette im Ofen (180 Grad Ober-/Unterhitze oder 160 Grad Umluft) überbacken, bis der Käse verlaufen ist und die Kartoffeln gar sind. Das dauert je nach Ofen ungefähr 30 Minuten.