„Dies ist eine Tour für Erwachsene“ – so etwas sagt unser lieber Guidegott Torsten selten. Und wenn der Held des Wohlseins auf den breiter werdenden schmalen Pneus dies über unsere Grand Tour im Juni nach Asturien in Spanien sagt, dann weißt Du: Es wird herausfordernd, aber auch wunderschön. Und wie einen guten Tropfen, sei es ein weißer txakolí aus den baskischen Hängen oder ein roter Guter aus der nahen Rioja, lernst Du erst im Laufe der Zeit, im Laufe der Jahre im Rennradsattel, im Laufe der Tour selbst die feinperlige betörende Schönheit des spanischen Nordens schätzen.
Idealerweise startest Du hierfür im baskischen Bilbao, direkt am und mit Besuch im Guggenheim-Museum, und staunst, wie sich die ehemalige schwerindustrielle Metropole neu erfunden hat.
Du kurbelst in wildem Auf und Ab durch die Kantabrische Kordillere nach Westen, bis Du in der Deva-Schlucht nach oben blickst und gefühlt an den Picos de Europa, den höchsten Bergen hier im „Grünen Norden“ mit bloßer Hand anschlagen kannst. Du drehst die Runde über den ginstergelben Puerto de San Glorio, bretterst auf die Nordseite der Picos, widmest dich mit vollkommener Hingabe den Lagos de Covadonga...
...und gondelst an Santanders Stränden vorbei zurück nach Bilbao. Und mittendrin löschst Du übermütig die Lichter am Angliru, applaudierst den „jovenes jinetes“ (dem Radsportnachwuchs bei irgendeinem der zahllosen Rennen hier) und stürzt über die Reineta hinab nach Bilbao (ja, dem Tour-Startort 2023 – warum die Vuelta so selten ins Ausland geht, dazu weiter unten).
All diese waren bis vor kurzem böhmische Dörfer für Dich? Doch es hatte schon immer an Deiner Ehre gekratzt, die Legenden der spanischen Vuelta endlich mal leibhaftig zu spüren – und den Leibhaftigen dabei gelegentlich zu verfluchen. Lies weiter - und das Kratzen wird stärker!
Wir erinnern uns: So wie auch die Tour in Frankreich und der Giro in Italien wurde die Vuelta in Spanien durch eine Zeitschrift initiiert: Die Macher von „Informaciones“ sorgten dafür, dass es (neben den damals schon pathostriefenden Eintagesklassikern in San Sebastián und Co.) ab 1935 großen Radsport auf der Iberischen Insel geben sollte. Während Tour und Giro schon in der Pubertät waren, durchlebte die Vuelta zunächst noch eine glückliche Kindheit irgendwo und überall in Spanien. Doch irgendwann waren die Kinderschuhe in den Hakenpedalen dann doch zu klein: Der Ruf der Radsporttradition, der Ruf der echten Berge lenkten sie zunächst ab den 1950er Jahren immer häufiger ins Baskenland, gelegentlich auch schon mal und noch ganz schüchtern in ersten Schritten nach Asturien und Kantabrien. Die pubertierende Vuelta war sich sicher: Sie und diese einsamen Berge an der Atlantikküste, die den Amerika-Seefahrern einst anzeigten, dass sie endlich wieder Europa erreichten, würden eine Liebe fürs Leben werden. Ganz gleich, ob die Picos manchmal ein wenig bockig bei den Prozenten waren oder auch mal viel zu züchtig durch die Wolken verhüllt wurden.
In den 1980er Jahren war es dann soweit: Vuelta und Picos de Europa vermählten sich auf ewig – die wohl spektakulärste Sackgasse im Norden fand ihren Weg in den Radsport-Olymp: Lagos de Covadonga hieß das Zauberwort (und auch unser Torsten stellte bei seiner Erstbefahrung fest: ein wirklich erwachsener, ausgereifter Berg der Extraklasse in vollendeter Schönheit. Nur ein wenig zu heiß war ihm diese Bergschönheit am Ende, zumindest fast…).
Und auch Du stellst in den karstigen Massiven auf kleinster Straße fest: Extrem hohes Suchtpotenzial, wenn Du erst einmal aus den letzten Morgenwolken unten im Tal aufgetaucht bist und munter in den Himmel pedalierst. Die blanke Gier will dich diesen Anstieg gleich zweimal fahren lassen. Du gibst Dich dem Verlangen hin. Machen die Pros ja auch so, zumindest im Training. Im Rennen reicht es selbst denen nur einmal.
Vergessen hast Du schon wieder fast, dass Du just einen Tag zuvor den legendären Ort der zweiten Eheschließung zwischen Vuelta und Picos erklommen hast: 1999 stand der Angliru bei Oviedo das erste Mal in den Vuelta-Annalen, seitdem ist er in schönen Abständen im Vuelta-Programm – und die Vuelta mit ihm nun wirklich volljährig. Es musste einfach dieser kleine Zickenweg sein, der sich so bitterböse auf die Hänge fräst, denn „nur“ ein Mortirolo wie beim Giro wäre der Vuelta ja nicht würdig gewesen.
Für das nächste Mal hast Du beschlossen, diesen Angliru als Option im Programm zu lassen, falls es Dich wieder reitet (und natürlich wird genau das eintreten). Ewiger Ruhm ist Dein!
Übrigens: Warum macht die Vuelta so selten Ausflüge in andere Länder? Weil Spaniens Norden die halbe Welt in sich vereint: Saftiggrüne offene Bergflanken wie in Schottland...
....karstige Massive wie auf dem Balkan, einsame, schroffe, mächtige Bergformationen wie in Patagonien…
Doch Du bist…in den Picos de Europa…dort in Spanien, wo die Vuelta groß wurde. Wo jede einsame Bergstraße eine Vuelta-Geschichte erzählt. Und Du weißt: Du wirst wiederkommen. Denn es sind Deine Picos. Du hast Sehnsucht – wann wirst Du Deine Liebe wiedersehen? Sehr bald schon im Jun auf unserer Grand Tour! Un fuerte abrazo, querida!