11.05.2023,
Jan:
Heute zog tatsächlich ein wenig Abenteuer-Flair in unsere Rennrad-Reise in den Ligurischen Alpen ein. Die
Colletta delle Salse waren wir noch nie im Rahmen einer quäldich-Reise gefahren, es fehlten barometrische Angaben im Tourenplaner, und eine Verpflegungsmöglichkeit im Niemandsland zwischen Piemont und Ligurien aufzutreiben war... eine Herausforderung! Aber dafür hatten wir heute einheimische Verstärkung auf unserer Seite. Diego bot sich an, mit uns zu fahren, der uns gestern auf der Hotelterasse getroffen hat. Diego kennt hier jeder, und einer seiner Freunde, der gefühlt nur ein Viertel so alte Sash, gesellt sich kurz vor Albenga zu uns.
Gemeinsam fahren wir das Arrosciatal hinauf, und Sash lobt anerkennend unsere Ortskenntnis ("Die Straße am Flughafen vorbei kennen die wenigsten") sowie die Streckenwahl ("Die Runde, die hier heute macht, ist die schönste der ganzen Region"). Leider muss Sash schon bald wieder beidrehen, kurz vor Pieve di Teco dreht er auf eine Nebenstraße zum
Colle San Bartolomeo ab, auf den wir auf dem Rückweg über eine andere Strecke fahren wollen. Aber gute Nachricht: die Nebenstrecke wurde neu gemacht und ist jetzt gut fahrbar. Nächstes Jahr!
Am Abzweig nach Mendatica weist uns ein Sperrungsschild in die Schranken. Der Fahrer eines herauskommenden Jeeps grinst nur dick und sagt "natürlich kann man fahren". Also fahren wir. Im nächsten Ort steht die Feuerwehr. "Nein, sie haben die Brücke abmontiert." "Können wir denn durchlaufen?" fragt Diego. "Müsst ihr probieren", heißt die bestärkende Antwort. Die doppelte Absperrung ist schon massiv, aber der Brücken-Rohbau erlaubt eine vorsichtige Querung. Absturzgefahr: keine. Hinter der Absperrung stehen Autos, von oben kommt man also hierher. Aufatmen.
Es folgt eine wunderbar einsame Auffahrt durch hellen, dichten Wald auf bestem Asphalt bis Mendatica, wo die Straße kurz auf eine Almregion austritt. Mendatica ist wunderschön, aber wie ausgestorben. Kein Wunder, dass alle Bars hier zu sind. Diego und ich suchen die "Machinette", also Verkaufsautomaten, von denen Sash sprach. Es stellt sich heraus, es gibt einen Kaffeeautomaten in der Dorfbücherei. Süß!
Nun muss ich meiner Gruppe hinterher springen, was sich im steiler werdenden Gelände hinter Mendatica als herausfordernd erweist. Glücklicherweise kann ich das Gruppetto noch vor der Passmarke des
Colle San Bernardo di Mendatica stellen. Wunderbar gucken wir von hier oben zurück bis zum Meer. Gruppenbild vor Ligurischem-Alpen-Panorama. Alle sind glücklich, dass wir die Brücke überwunden haben. So ein toller Anstieg!
Ab hier wird es dann richtig grandios. Die Blicke auf die gegenüberliegenden Gebirgsstöcke vermitteln richtiges Hochalpenflair, das uns das wellige Stück bis Monesi di Triora mit Leichtigkeit überwinden lässt. Hier gucken wir auf die Almlandschaft unter dem Alpenhauptkamm, hinter dem das Royatal und somit Frankreich liegt. Habe ich es schon erwähnt? Grandios!
Noch grandioser ist die Ravioli-Verpflegung im Rifugio La Vecchia Partenza, meinem Meisterstück der heutigen Woche. Schwer zu finden, heute eigentlich zu, macht aber extra für uns auf. Tolle Menschen empfangen uns: Mauri und Simona haben hier oben ein Bike-Hotel im Nichts aufgebaut und versprühen Leidenschaft und gut Laune. Die Ravioli sind erstklassig. Laut Roberto die beste Tagesverpflegung in Ligurien aller Zeiten, und Ambiente, Gastlichkeit und Essensqualität scheinen ihm Recht zu geben.
Ach so, oben war ich im Unrecht. Richtig grandios wird's eigentlich erst jetzt. Gleich nach dem Rifugio ertönt die Motivklingel, alle müssen vom Rad, alle zücken die Fotoapparate ob der grandiosen Blicke auf die Felsformation des Monte Mongioie (2630 m), dem zweithöchsten Gipfel der Ligurischen Alpen. Nun steigen wir die letzten vierhundert Höhenmeter zur
Colletta delle Salse. Diese hieß auf quäldich zuletzt übrigens noch Passo della Colletta, aber alle in Ligurien sprechen von "Le Salse", einem kleinen Weiler unter dem Pass. In Blumenwiesen windet sich der Pass nach oben, wir blicken zurück auf den Kessel unterhalb des Rifugios, und über den eben erklommenen
Colle San Bernardo di Mendatica hinweg blicken wir bis hinunter zum Meer. Unfassbar schön.
Als wenn das noch nicht reichen würde, ist die Gegenseite ebenso begeisternd, wenn nicht noch schöner. An zwei Orten vorbei folgen wir dem Tanaro, der hier eine tiefe Schlucht eingegraben hat. Massive Felsformationen! Für mich völlig überraschend. Der ganze Tag ist für mich völlig überraschend, und das, obwohl ich die höchsten Erwartungen daran hatte. Weit übertroffen!
Das vorher tolle Wetter ist nun umgeschlagen, ein Gewitter kommt bedrohlich näher, wir müssen nun weiter drängen. Den Tanaro bergab bis Ponte di Nava, dann über den
Colle di Nava zurück über den Alpenhauptkamm und in rauschender Abfahrt zurück nach Pieve di Teco. Was für eine tolle Abfahrt auf grandiosem Asphalt! Staatsstraße sei dank. Mittlerweile haben wir auch die Regenjacken an, und der weitere Weg über den
Colle San Bartolomeo bis nach Imperia ist ein einziger Kampf gegen den Nieselregen. Oben verpasse ich die richtige Abfahrt. Ups! Aber auch unsere führt nach Imperia, nur über mehr Schnellstraße. "Schnell ins Hotel ist doch gut!" findet Roberto.
Und das gelingt uns auch. Am Hotel macht Thomas endlich noch seine 3000 Höhenmeter voll! Ein würdiger Abschluss eines wunderbaren, abenteuerlichen Tages in Ligurien.
Hoch die Tassen beim Ligurischen Gala-Dinner in unserem tollen Hotel!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Es braucht schon einen Königsetappen-verdächtigen Tagesabschnitt, um bis zum Passo della Colletta vorzudringen, mit 1602 m Höhe der höchste Straßenpass Liguriens. Hier sind wir direkt unterhalb des Alpenhauptkamms, und hinter den Bergen liegt schon das Roya-Tal in Frankreich. Vom Collette fahren wir kurzzeitig ab ins Piemont, bis wir bei Nava wieder die Strecke der kürzeren Variante erreichen.