Konzentriert gehen wir heute in Gruppe 2 die Transalpina an. Das Routing ist heute denkbar einfach. 119 km weist die Etappe aus. Bis Km 110 folgen wir der Transalpina, danach müssen wir genau einmal links abbiegen. Das sollten wir schaffen.
Wir kreiseln langsam per Speeddating im faktisch nicht vorhandenen Wind. Die angenehmen Steigungsprozente und der sich kaum ändernde dichte Wald rechts und links der Straße fordern unsere Aufmerksamkeit nicht zu stark, wir können die großen Themen des Radsports wälzen. Was war? Was ist? Was kommt?
Heute kommt die Transalpina, und es entwickeln sich langsam Zweifel an Alex Vorhersage: Am
Pasul Urdele, dem Hochpunkt der Transalpina, soll es 12 Grad haben. Unter diese Marke fallen wir noch vor dem zweiten Stausee, auf 1100 Höhenmeter. Hier ist Brandenburg. Hier fühlt sich Uli wohl. Uli schaltet aufs große Blatt.
Nach dem Stausee mit seinen obligatorischen Imbissständen beginnt die Schlussrampe zum
Pasul Tartarau. 400 Höhenmeter mit ersten Steilstücken sollten schnell zu absolvieren sein. Was vorher Nebel war, verdichtet sich immer mehr. Da helfen keine Beschönigungen, es regnet. Zum zweiten Mal in diesem Jahrhundertsommer ziehe ich meine Regenjacke an. Die Passhöhe liegt unscheinbar im Wald, der Hochpunkt ist am Gipfelplateau nicht auszumachen. Aber die Gruppe wartet trotzdem. So eine tolle Gruppe!
Es ist kalt. Es ist nass. Meine langen Handschuhe trägt Backi, er braucht sie sicher noch mehr als ich. Schlotternd erreichen wir Obarsia Lotrului und sind froh, Alex zu sehen. Ich hätte alles, was ich jetzt anziehe, auch in meiner Guidetasche gehabt, aber dann wären die Beinlinge jetzt nass, und ich wollte sie für die zweite Abfahrt trocken haben. Den Anstieg zum Pasul Urdele trete ich mit Überschuhen, Windstoppersocken, Beinlingen, Ärmlingen, zwei Thermounterhemden, einem Trikot und meiner Regenjacke an. Die Transalpina zweigt in ein Hochtal ab, es steigt kaum an, und so erreicht kaum Wärmeenergie den ausgekühlten Körper. Endlich beginnt die Steigung. In weiten Kehren windet sich die ab hier orange markierte Straße nach oben. Die Steigrate der Gruppe schnellt in vorher ungeahnte Höhen, so ausgekühlt sind alle.
Jetzt erreichen wir die Almstufe, und hier wird es wunderschön. Alex hat nicht übertrieben. Der Regen hat aufgehört, die Wolken hängen tief, mystischer Nebel zieht über die Straße. Wo wir etwas sehen können, ruft die Straße Erinnerungen an tolle Alpenpässe auf. Die steile Gerade wie am
Timmelsjoch, die runden Bergkuppen wie an der
Nockalmstraße, die Streckenführung laut Thomas wie in einer Carrera-Bahn. Im dichten Nebel erreichen wir den ersten Hochpunkt, wir sehen hier gar nichts, die Touristenhütten sind alle zu. Wir stürzen uns in die Senke. Laut ertönt die Motivklingel. Alex und Uli stehen an der Abbruchkante zu dem markanten Trogtal, das wir im Folgenden im weiten Bogen umkurven. Wie hinter dem Fuscher Törl am
Glockner, findet Rupert. Wie am Soulor, findet Alex. Vor allem wegen des Nebels, durch den jetzt aber malerisch die Sonne bricht.
Einzigartig, sind wir uns alle einig.
Jetzt sind es keine 200 Höhenmeter mehr. Die letzten Kehren sind noch einmal steil. Frierend steht die Gruppe am Hochpunkt, bei 2 Grad. Meine Ansage, schon runter ins Warme zu fahren, wurde leider missverstanden. So fahren wir jetzt gemeinsam ab in Richtung Walachei. Schnell wird klar, dass sich nun bald die Sonne durchsetzen wird. Am Horizont hinter Braca sehen wir schon die Wolkenkante, und darunter bis weit hinein in die Tiefebene der Walachei. Die Abfahrt ist rasant, kurz unterbrochen von Hunden, einer Schafherde und einigen Kühen auf der Straße. Die Sonne bricht durch die Wolken, plötzlich mit der geballten südeuropäischen Septembergewalt. Erst ganz am Ende der Abfahrt entledege ich mich meiner Regenjacke, und die erste der beiden kleinen Wellen in Richtung Pizzarestaurant nehme ich noch in voller Montur, die ich hernach nach und nach abschäle. Nach 119 km und 2600 Höhenmetern erreichen wir die kleine Fast-Food-Pizzeria voll in der Walachei.
Jetzt gibt es Pizza und Getränke für alle. Hoch die Flaschen, die Transalpina ist bezwungen, wir haben dem Wetter getrotzt! Ein hartes Stück Arbeit zwar, aber ein wunderschönes Passerlebnis, dass uns niemand nehmen kann.
Nun kommt der Bus (wirklich!) und fährt uns drei Stunden zurück nach Sibiu. Bären haben wir heute nicht gesehen, aber morgen haben wir die nächste Chance an der
Transfagarasan, auf der wir den Karpatenkamm zum zweiten Mal überqueren. Wir freuen uns sehr darauf, und auf besseres Wetter. Drückt uns die Daumen!
So wäre es bei schönem Wetter gewesen:
Eine Etappe, eine Straße. Wenn man 110 km auf einer der bekanntesten rumänischen Passstraßen zurücklegt, ist das ein prägendes Erlebnis. Erst seit wenigen Jahren überhaupt durchgängig asphaltiert, windet sich die Transalpina bis in eine Höhe von fast 2200 m. Dabei gibt es mehrere Hochpunkte, wovon der Pasul Urdele bei km 85 das absolute Maximum darstellt. Doch bis dahin gewinnen wir über viele Kilometer an Höhe. Ab Kilometer 72 sind wir oberhalb der Baumgrenze und verlassen die tiefen Wälder. Unglaubliche Ausblicke in die weite und unverbaute Natur der Karpaten sind bei gutem Wetter garantiert. Wir überqueren die Transalpina nach Süden und rollen über Ranca die lange und traumhafte Abfahrt bis Novaci hinab. Voller Euphorie schaffen wir auch noch die letzten Kilometer bis zur Pizzeria. Hier können wir uns stärken und werden dann vom Bus zurück nach Hermannstadt gebracht.