Was ist sicher in der heutigen Welt? Ziemlich wenig, aber eins ist sicherer denn je: wie privilegiert wir sind, dass wir unserem Hobby nachgehen können. Dass wir Rennrad fahren können. Dass wir Urlaub auf dem Rennrad machen können! In unserem Fall seit gestern: beim mallorquinischen Saisonauftakt,
Dass relativiert doch sehr stark, dass wir lieber bei besserem Wetter Radfahren würden. Das kühl-nasse Wetter, dass unsere beiden Kanarenwochen auf Teneriffa und Gran Canaria ebenso begleitet haben wir das Bergtraining in Ansalusien letzte Woche, haben wir nun also auch hier auf Mallorca. Gestern konnten wir trocken fahren, nach allerlei Startschwierigkeiten inklusive Lenkerbruch (beim Zusammenbau), Sattelstützeneinstellschwierigkeiten und Schuhplatteninkompatibilitäten kamen wir erst gegen 16 Uhr los, konnten mit der sportiven Gruppe aber dennoch auf den
Puig de Randa fahren. Trocken geblieben und genau bei Sonnenuntergang zurück im Hotel. Glück gehabt!
Heute morgen regnet es beim Frühstück. Im Norden sieht es dunkler aus, und nach dem Studium diverser konträrer Wetterapps entscheiden wir uns, heute in den wilden Westen zu fahren:
Coll des Vent,
Galilea,
Es Grau,
Port d'es Canonge und
Coll d'en Claret - das ist schon eine ziemlich lange Etappe mit 130 km zum Auftakt. Da das Wetter in den nächsten Tagen nicht besser aussieht, hilft alles nichts: wir müssen eh bei Regen in die Berge. Und das machen wir.
Der Wind bläst uns erstmal Richtung Palma. Das macht richtig Spaß, wir kreiseln gekonnt per Speeddating. Kaum, dass sich Simon wieder neben mich schiebt und wir somit einmal im Kreis gekreiselt sind, erreichen wir Palma, das wir über schmale Gassen, autobahnähnliche Einfallstraßen durch Gewerbegebiete und am Stadion vorbei durchfahren.
Die sportive Gruppe, aus der ich heute berichte, ist natürlich wieder verspätet losgefahren, weil wir noch ein teilnehmerseitig falsch identifiziertes Leihrad austauschen mussten. Kurz vor Erreichen der berühmten Kaserne Palmas schieben wir uns an Pauls ausdauernder Gruppe vorbei. Toms entspannte Gruppe hatte ich wohl kurz vorher auf dem Radweg übersehen, wie mir Simon erklärt.
An der Kaserne beginnt der
Coll des Vent, den wir somit in einem munteren sportiv-ausdauernden Gruppengemisch hochfahren. Eine tolle, schmale Straße, normalerweise auch gar nicht so fordernd. Normalerweise, denn meine Jungs drücken was geht. Boris, Joachim, Morten, Raphael, Rudi, Simon und Wolfgang werden mich heute platt fahren, das zeichnet sich hier schon ab. An der Einmündung in die Hauptstraße Richtung Calvia erwischt uns auch der erste Schauer. Ab hier werden wir die Regenjacke kaum mehr ausziehen. "Normalerweise ist es hier schön", sagt Morten, nachdem wir in Es Capdella rechts Richtung Galilea abgebogen sind. ich finde es trotzdem schön. Natürlich, das Meer unter uns blau in der Sonne glitzern zu sehen wäre schon schöner als das graue Einerlei im Rückblick. Aber der Hochpunkt ist schnell erreicht. Ich entscheide mich spontan, nach links in den Ort hinein zu fahren, und in der Tapasbar an der Kirche unser Mittagessensglück zu versuchen. Eigentlich war die Mittagspause in Puigpunyent vorgesehen, aber das Frito Mallorquin hier oben hatte ich vom letzten Jahr noch in bester Erinnerung, als wir im gleißenden Sonnenschein auf der kleinen Panoramaterrasse zu Mittag gegessen haben.
Und tatsächlich haben wir Glück - schon wieder! Der Wirt stellt uns nach anfänglichem Zögern zwei Tische zusammen (nein, auf der Terrasse wollen wir heute nicht essen!), und als wir dann in kürzester Zeit alle Tapas der Auslage durchbestellt und verköstigt haben, ist auch der Wirt glücklich über so unkomplizierte konsumfreudige Gäste. Tumbet, Albondigas und Frito Mallorquin... einfach gut hier oben! Und falls ihr noch nie Frito Mallorquin gegessen habt, hier die Zutatenliste. Die Zubereitung ist denkbar einfach - alles zusammenschmeißen und in reichlich Olivenöl anbraten:
Innereien vom Lamm
3 Frühlingszwiebeln
ein halber Blumenkohl
6 Kartoffeln
Eine Knolle Knoblauch
2 Lorbeerblätter
roter Pfeffer
schwarzer Pfeffer
Blätter einer Fenchelknolle
Salz
Kaum haben wir unser Blitzmittagessen beendet, steht schon Toms entspannte Gruppe vor der Bar. Claudia ist ihrem Instinkt gefolgt, und auch Toms Gruppe darf noch Tapas essen, bevor die Gäste um ein Uhr ihre Reservierung wahrnehmen wollen. Sensationell!
Wir eiern langsam über glatt-schmierige Straßen hinunter nach Puigpunyent, dennoch kommt es zu einem glimpflichen Sturz. Die Wiederausrichtung von Bremsgriffen und Scheibenbremssockel nimmt dennoch etwas Zeit in Anspruch. Während wir basteln, sitzt der Rest der Gruppe schon wieder bei Café und Kuchen im Ort. Eine Gruppe aus Frauenfeld TG (CH) versüßt unsere Auffahrt zum
Es Grau. Oben sind sich aber beide Reisegruppen einig, dass es schöner ist, im Regen Es Grau zu fahren, als dies nicht zu tun. Heute hat mir der Aufstieg wirklich gefallen!
Wieder eiern wir runter, diesmal glücklicherweise sturzfrei. Kurze Diskussion am Abzweig zum
Coll d'en Claret: Fahren wir noch hinunter ans Meer zum
Port d'es Canonge? Klar machen wir das, schließlich ist es gerade trocken. Und: richtige Entscheidung, der von mir als rein sportliche Bereicherung annoncierte Auffahrt ist nun richtig schön, mit tollen Blicken zum Meer, seit in den letzten zwei Jahren irgendwann ein Sturm über den Hang gefegt ist: alle Bäume sind entwurzelt, der gegenüberliegende Hang sieht apokalyptisch aus, aber die Blicke hinunter zum Meer sind jetzt viel schöner! Glück gehabt!
Unten hisse ich aber die weiße Flagge und kündige an, nun nicht mehr das horrende Tempo jenseits der 1100 Höhenmeter pro Stunde mitzugehen. Raphael und Simon sind freundlich zu mir und eskortieren mich hoch. Danke!
Der
Coll d'en Claret ist dann nur noch ein Kinderspiel. 180 Hm bei 4,5 % Steigung, dennoch mit einer alpin angelegten Trasse. Sehr schön! Nicht zuunrecht ist das hier Mortens Lieblingsberg. In Valldemossa essen wir nochmal Kuchen. Höchste Eisenbahn für mich. Ich hatte mich schon geärgert, dass ich in Galilea nicht noch ein Tumbet gegessen habe. Der Mandelkuchen ist toll, viel besser als die 2,6 Google-Sterne vermuten lassen. Und schön warm und trocken ist es auch Cafe Bar Meriendas.
Die Abfahrt von Valldemossa hinunter nach S'Esgleieta ist unter Normalbedingungen toll. Heute trauen wir uns nicht so recht, macht aber trotzdem Spaß. Unten dann eine Wand aus Gegenwind, gegen die sich Simon gekonnt stemmt.
So schön, diese warme Dusche nach einer langen Regenetappe!
So schön, diese Orangen vom Baum nach einem ausschweifenden Abendessen.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Die zweite Etappe führt uns in den Westen der Insel, auch dieser vom Gebirge der Serra de Tramuntana geprägt. 200 Höhenmeter und 7 km Umweg bescheren uns einen weiteren schnen Pass auf der Küstenstraße, den Coll d'en Claret. 35 Kilometer flache Anfahrt am Südostrand der Tramuntana entlang und an Palma vorbei, dann setzt der Coll des Vent ein erstes Ausrufungszeichen. Er gilt als ein Geheimtipp und einer der schönsten Pässe Mallorcas. Die schöne Gebirgsstraße über den Coll des Grau führt uns hinunter nach Port des Canonge, wo wir vielleicht den ersten Kaffee direkt am Meer trinken können. Über den Coll d'en Claret und Valldemossa verlassen wir dann das Gebirge und kehren nach Inca zurück.