02.09.2019,
Jan:
Dank Alexanders Neoangin wache ich deutlich fitter auf als erwartet – der Regen am Pierre St Martin hat leider Spuren hinterlassen. Aber beim Start fühle ich mich gut, und wir jagen dem Marie-Blanque entgegen. Leider ist es nicht so sommerlich wie gestern noch angesagt, und am Aubisque ist schon wieder Regen angekündigt, und meine Schuhe sind auch noch nass von gestern. Daher starte ich gleich in meinen Neoprenüberschuhen. Da bleiben die Füße nass, aber warm.
Das Flachstück bis Escot ist viel zu schnell weggedrückt, und das viereinhalb Kilometer lange Steilstück zum Gipfel viel zu schnell erreicht. Ich habe es nicht so hart in Erinnerung, und habe es gestern wohl etwas verharmlost. 2016 bin ich hier mit der ausdauernden Gruppe hoch, und das war schön locker. Viel lockerer als im Grupetto der völlig übermotorisierten sportiven Gruppe dieser Reise, die anders ausgedrückt leider unter einem etwas untermotorisierten Guide leidet. Oder besser gesagt leiden würde, wenn ich nicht so ein Fuchs wäre und alle wechselwilligen Teilnehmer zum Verbleib in der Gruppe animieren würde. Maßnahmen zum Selbstschutz.
So ist das Grupetto heute immerhin vier Personen stark, und meine Schwäche fällt noch nicht auf. Ich fürchte aber, dass es am Aubisque auffälliger wird. Alexanders Kette springt.
In der Abfahrt zum Soulors kommt die Sonne raus. Hammer! Alexanders Schalthebel funktioniert nicht mehr. Wir entschließen uns, die Gruppe ziehen zu lassen und den Schaltzug zu wechseln. Leider verklemmt aber der Schaltzugkopf den Hebel, und er springt nicht zurück. Der Kreuzschlitzschraubenzieher vom Guide-Multitool ist zu dick für die Schalthebelabdeckung. Fuck. Gruppe 2 kommt vorbei, und Matthias rettet uns mit seinem Multitool. Yeah!
So ist der Schaltzug schnell eingezogen, aber leider ist er aufgrund langer Nichtbenutzung und entsprechend langem Rüttelaufenthalt in der Guidetasche aufgespleißt, so dass wir ihn nicht durch den Bowdenzug am Schaltwerk ziehen können. ARGS! Wir versuchen, Eva und den rettenden Seitenschneider auf dem kleinsten Ritzel zu erreichen. Glücklicherweise befindet sich gleich am Ortseingang von Laruns rechts ein Location de Ski. "Ouvert, Sonnez s'il vous plaît!", sagt das Schild. "Il n'est pas la", sagt Oma, die uns nach dem Klingeln öffnet. Aber sie lässt uns in den Laden und wir dürfen uns einen Seitenschneider aussuchen.
Dann ist es nur noch eine Sache von Sekunden, bevor Alexander wieder lachend auf dem Rad sitzt.
Zweimal die Kurbel umgedreht, und schon stehen wir bei Eva auf dem Festplatz in Eaux-Bonnes, wo sie uns ein immerwährend gesteigertes Premiumbuffett kredenzt (der Druck wächst!). Da Gruppe 3 gerade im Begriff ist abzufahren, entscheiden sich Alexander und ich, Eva beim Aufräumen zu helfen. Was sie aber ablehnt, so dass wir stattdessen einen Café trinken gehen. Denn jetzt kriegen wir eh niemanden mehr eingeholt, also können wir es locker angehen. Alexanders Schalthebel sei Dank! Fantastisches Sechzigerjahreflair in der Bar des Hotel Richelieu!
In der Zwischenzeit habe ich es aufgegeben, ein Ersatzrad für Daniel zu finden, dessen Dreifach-Ultegra-Schaltgriff den Geist aufgegeben hat. Montags in Frankreich haben alle Radläden zu. Wobei man für diesen Schalthebel im archäologischen Museum vermutlich mehr Glück hätte. Ich deligiere an Tom im Backoffice. Kurz darauf ruft er an und hat den Tipp "Bike Tourmalet in Luz St Sauveur", unserem heutigen Zielort. Aber die haben auch keine Lust, ein Leihrad wieder vom Mittelmeer zu holen.
"Jetzt geht keiner mehr ran", schreibt mir Tom kurz darauf wieder. Aber bei mir, und der sehr gut englisch sprechende Lebensretter sagt mir, er könnte mir ein Carbonrad mit Shimambo No 5 für 790 Euro verkaufen. "You're my man", sage ich. "Oh wait, I also have a Ultegra threefold lever in my hands", sagt er. Mega.
Ich schicke Daniel die frohe Kunde per SMS, und Alexander und ich machen uns auf die Verfolgung der längst entschwundenen Mitfahrer. Der Nebel wird immer dichter, man sieht und hört nichts. Diese Stille! Am Aubisque können wir die riesigen Stahlräder nur schemenhaft im Nebel erkennen, aber in der Cirque de Litor reißt die Wolkendecke auf und wir können die fantastischen Blicke auf den Talkessel und die in den Fels gehauene Straße genießen. Nicht ganz so schön wie bei Sonne, dennoch ein unerwartetes Geschenk.
Mit dem Zweimanngrupetto kommen wir in der Abfahrt gut voran, so dass wir kurz vor Pierrefitte-Nestalas erst Paul und Roman und kurz danach Gruppe 2 beim Gruppenfoto stellen.
Und schon waren wir in Luz. Morgen kommt aber der Sommer, die Erkältung ist am Nebel im Aubisque geblieben, und morgen kommen Tourmalet, Aspin und Peyresourde! Yeah!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Auch das dritte Teilstück ist höhenmeterreich, und wir erreichen endlich auch das Terrain der Tour-de-France-Klassiker. Es beginnt noch ganz harmlos, das schöne Vallée d'Ossau hinauf. Über den schönsten Pass der Pyrenäen lässt sich streiten, ein ganz besonderes Sahnestück ist aber der Cirque du Litor, die Höhenstraße zwischen Col d'Aubisque und Col de Soulor. Ein ganz besonders hartes Stück Arbeit ist natürlich auch der
hors catégorie-Anstieg zum Col d'Aubisque. Zumal wenn man vorher noch den steilen Col de Marie-Blanque zu bezwingen hat. Eine Etappe der Extraklasse also, die schließlich in Luz-Saint-Sauveur endet.