Es war 1755, als korsische Widerstandskämpfer angeführt vom korsischen Nationalhelden Pascal Paoli die genuesischen Besatzer besiegten und eine demokratische Verfassung schufen. Somit steht Pascal Paoli auf der Nationalheldenliste Korsikas mindestens auf derselben Stufe wie Napoleon Bonaparte (der übrigens Gerüchten zufolge von seiner Geliebten liebevoll "Napie" genannt wurde). Doch was ist so ein Guerilla-Quatsch schon gegen den korsischen Nationalhelden des Jahrs 2018. Unser quäldich-Rookie Pascal (das kann doch kein Zufall sein mit dem Vornamen...) hat nämlich quasi aus dem Stand fast die komlette heutige Etappe bewältigt, obwohl er erst aus einer bei Freiburg-Bordeaux entstandenen Bierlaune heraus vor ein paar Wochen mit dem Rennradfahren begonnen hat. Chapeau, sagen wir da nur.
Chapeau sagen wir auch zur Internetverbindung im Hotel des Touristes, durch die unsere Fotos nur so auf den quäldich-Server gefluppt sind. Sensationell.
Der Tag beginnt heute mit der Ankunft von Chris, dem Mechaniker von Europe Active, der die uns vermieteten Räder wieder auf den technischen Stand bringen soll, die wir eigentlich schon bei deren Übergabe hätten erwarten können. Nun gut, die gröbsten Mängel sind damit erstmal behoben, und somit auch vielen Dank an Chris. Leider kommt es deswegen erneut zu Verzögerungen im Betriebsablauf, so dass der Sous-Chef in letzter Minute sein Gepäck in den Sillecruiser wuchtet. Gruppe 3 ist schon los gefahren, sie kennen heute erneut kein Halten. Ulf folgt kurze Zeit später mit seinen paar Sportiven, und meine Gruppe fährt hinterher. "Der erste Berg heute ist genau so hoch wie der letzte gestern", stellt ein Gruppenmitglied fest. Eine Verschwörung? Nein, es geht heute nochmal über den Col de Teghime, diesmal in Ost-West-Richtung. "Wir treffen uns an der Kanone wieder", kann ich so allen Attackierenden mit auf den Weg geben. Und jeder weiß Bescheid. Das ist Vorbereitung!
Die Aussicht vom Col de Teghime hinab zur Bucht von Saint Florent ist heute auch viel schöner, es ist nicht so diesig wie gestern. Wir stürzen uns in die Abfahrt, durchqueren Saint Florent und sind nach kurzer Flachpassage schon im Anstieg zum Col de San Stefano. Hier ist leider noch etwas viel Verkehr, es ist heiß, und der Respekt vor dem Tagesprogramm wird höher. Kurz darauf ein Kettenriss - natürlich bei einem Europe Active-Rad. Der legitime Nachfolger von Ketten-Klaus will es wohl schon in den Straßengraben befördern, doch ich kann gerade noch rechtzeitig das Kettenschloss aus dem Rucksack zücken. Ein Hoch auf den Guiderucksack!
Es wird dann auch immer schöner im Col de San Stefano, doch so richtig sensationell ist dann erst der sich anschließende Col de Bigorno. Schmale Straße, Weitblicke, die korsische Bergwelt. Was will man mehr. Vielleicht das legendäre Bergbuffet von Sille, das uns oben erwartet. Nachdem der Zeitplan Sille gestern noch vom Schnittchen schmieren abgehalten hat, ist sie heute voll in ihrem Element (lediglich als Denny ihr das leere Essiggurkenglas aus der Hand nimmt, um das Gurkenwasser auszutrinken, verliert sie kurz nahezu ihre Contenance).
Pascal hat ganze Scouting-Arbeit geleistet, und so sind wir vor den Kühen in der Abfahrt gewarnt. Immer wieder stehen sie am Straßenrand und wundern sich wohl, was wir hier so treiben, sind aber sonst nicht aus der Ruhe zu bringen. Die kurzerhand vom Sous-Chef antibasisdemokratisch verordnete B-Variante (schließlich stehen wir ja unter Druck, da gestern die B-Quote in der entspannten Gruppe höher war als bei uns) entpuppt sich als absoluter Leckerbissen. Serpentinen durch satt grüne korsische Landschaft. Ein Traum!
Und damit sind wir erst knapp bei der Hälfte der Etappe. Ein kurzes Stück Hauptstraße, dann geht es in den Col de Croce d'Arbitro. Ein recht unnötiger Pass eigentlich. Aber er bietet uns schöne Ausblicke auf die dolomiteske Bergformation Aiguilles de Popolasco (einen besseren Namen dafür kann man sich eigentlich nicht ausdenken...), und außerdem ist er wieder herrlich idyllisch und abgeschieden. Nur die Wasservorräte gehen so langsam zur Neige.
Der Restaurantbesitzer in Ort am Ende der Abfahrt ist keine große Hilfe, dafür finden wir einen mariengesegneten Brunnen einen Kilometer später. Weihwasser für die Bidons gewissermaßen. Ob das hilft? Die Kräfte sind natürlich nahezu aufgebraucht am Ende der Etappe, aber die Schlucht, durch die wir fahren, ist so grandios, dass wir die Erschöpfungssymptome nochmal zurückstellen können. So langsam bekomme ich Angst, dass es uns nicht gelingen könnte, den Spannungsbogen zu halten, so hoch liegt die Messlatte nach dieser Etappe.
Jetzt Essen. Menu Sportif. Ohne Huhn natürlich.
Wir verlassen die stark touristisch geprägte Küstenregion und begeben uns heute ins Landesinnere. Wir überqueren den Col de Teghime und gelangen so wieder ans Meer, auf der anderen Seite des Daumens. Dann folgt der langgezogene Anstieg zum Col de Bigorno, und wir haben den wilden Teil der Insel erreicht. Der Croce d'Arbitro beschließt das Pässetrio für heute, doch dann geht es dem Tal entlang noch hinauf bis in unseren Etappenort Calacuccia, an einem See gelegen auf 800 m Höhe. Hier sind wir fernab der touristischen Zentren, so dass die Unterbringung heute etwas einfacher ausfällt.