03.06.2023,
Luc:
Tag 5 : RUHETAG, oder Windschatten Lümmelei
Deutlich kühler als in den vergangenen Tagen stehen alle pünktlich am Start. Keine Sonne, Nord-Osten Wind… Keiner scheut das Anziehen der Ärmlinge oder Windjacken… Ruhetag ist angesagt. Gemütlich soll geradelt werden.
Nicht wenige sind überrascht, dass der Marktplatz der Stadt Oudenaarde schöner ist als die Terrasse vom Hotel, wo am Vorabend aber eindeutig entgegen Empfehlung des Reiseleiters, nach der gefühlten „Hölle vom Norden“ das Schmutzbier getrunken wurde. Aber wer nicht will, der hat schon…
Ständig bläst der kalte Wind aus Nord / Nord-östlicher Richtung, aber die blauen Öffnungen in der Wolkendecke versprechen Verbesserung und lassen hoffen, dass es etwas wärmer werden wird. Einmal aus der Stadt geht es leicht wellig und vor allem kurvig auf kleinen Straßen Richtung Nord-West, Brügge… Es stellt sich, aber erst nachher heraus, dass jede (unübersichtliche) Kurve auch stets eine Herausforderung für die, in den hinteren Reihen, zu werden scheint. Der Harmonika-Effekt lässt grüßen. Ein weiterer, unerwarteter Nebeneffekt, der ein solch kurviges Rennen wie die Flandern Rundfahrt, oder Nokere Koerse („Kursse“), oder Gent-Wevelgem, viel härter macht als die nackten Zahlen einem glauben lassen würden.
Als nach 60 km die Gentse Poort endlich auftaucht, sind alle auch ein wenig erfreut, den Krieg gegen den Wind erstmal und vorübergehend, besiegt zu haben.
Brügge, die Scone
Brügge, Venedig vom Norden (aus einem Schreiben 1432, wo umschrieben wird, wie Brügge und Venedig als Konkurrenten Handel getrieben haben)
Brügge sehen und sterben… Nein, so weit sind wir dann doch noch nicht. Die vom Reiseleiter vorgeschlagen Aktivitäten (Biermuseum, Schokolademuseum, Frittenmuseum) werden schon wieder erfolgreich abgewunken, stattdessen gibt es fantastisch leckere Belgischen Waffel, (aber bitte) mit Sahne, und möglichst viel Advokaat (Eierlikör). Ob dies auch gegen die „kein Alkohol während der Etappe“ verstößt?
Kurz danach Aufbruch, wir wollen es rechtzeitig ins Wielermuseum in Oudenaarde schaffen. Der Rückweg verspricht etwas mehr Spaß zu machen… Durch flache Felder und Weiden, über kleine Wege, gleiten wir, diesmal sogar manchmal geschoben vom Wind aber eckig und kurvig wie am Morgen, mit einer gemütlichen Geschwindigkeit von manchmal über 40 km/h dahin. Gemütlich zumindest für die sich ab der zweiten Reihe befindenden. Beim Schmutzbier soll dieses „Dahingleiten“ offiziell als „Windschatten Rumlümmelei“ anerkannt werden. Die Durchfahrt durch kleine Städtchen wie Deinze und Waregem zeigt stets wieder, wie wichtig den Belgiern das Leben „draußen“ ist. Überall aufgestellte Terrassen, farbenfrohe Straßenverzierungen lauten den Anfang des Sommers ein.
Die letzte 20km sollen sich nicht als weniger anstrengend darstellen, und Vorsicht ist bis zum letzten Moment geboten. Gerade als Michael, unsere Lok-Cat1, den Weg für alle hinter ihm freimachen will, greift eine seitliche Windböe sein Vorderrad mit ungemeiner Kraft an. Nur durch seine froomischen Eleganz schafft er es jedoch, auch diese Hürde meisterlich zu nehmen, das Rad wieder unter Kontrolle zu kriegen und die Gruppe letztendlich sicher nach Oudenaarde und ins Wielermuseum „de Ronde van Vlaanderen“ zu führen. Und da entdecken wir schon wieder, welche Heldentaten auch wir in den letzten Tagen gemeistert haben, um heile und gesund verschiedene Hellingen und Kopfsteinpflasterpassagen unverletzt durchzukommen…
„ZWIJG, `t is koers“
Original Etappenbeschreibung:
Wir bleiben noch eine zweite Nacht in Oudenaarde, und somit haben wir heute alle Möglichkeiten. Nach dem geballten Klassiker-Programm des gestrigen Tages und der langen Etappen möchte der ein oder andere vielleicht auf dem hübschen Marktplatz von Oudenaarde die Beine hochlegen, in einer
frituur einkehren oder auch das Ronde-Museum besuchen. Für alle anderen haben wir eine touristische Ruhetagsetappe, die zwar auch etwa 120 km lang ist, aber dank des flandrischen Flachlandes die möglicherweise höhenmeterärmste quäldich-Etappe aller Zeiten ist. Eine touristische Etappe ist sie wegen des Wendepunktes der Rundtour: Brügge, der wohl kulturell spannendsten und vielleicht auch schönsten Stadt Belgiens mit seinen Kanälen, seinem Marktplatz, seinen Windmühlen. Sie zeigt noch eine andere Facette unseres Gastlandes Belgien: die weite Landschaft des flandrischen Nordwestens. Eine Ruhetagsetappe zum Genießen.