28.05.2023,
hagen306:
Wir haben das Ziel erreicht. Selbstverständlich. Ohne Opfer. Aber wir gucken durchaus ein wenig über Kreuz. Eine kurze Chronik der Degeneration des finalen Tages:
1. Die Roadbooks sprechen eine eindeutige Sprache: "Hügelschlacht nach Bilbao" oder "Die Bestie: Monte Oiz". Da wir die Beine ohnehin nach einer strammen Woche nicht mehr spüren oder auch vermissen, ignorieren wir das einfach. Bereits vor Abfahrt passieren 154 Rennradfahrer (sollten wir besser sagen: Rennfahrer?) das Hotel. Wen von ihnen werden wir am Igeldo stellen?
2. Igeldo: 400m einrollen, 8km hinauf auf den Katzenbuckel in San Sebastians Westen. Nach dem schändlichen Ignorieren seiner Attacke gestern am Jaizkibel (wegen Gesprächsthemen wie Rasenmäher usw.) legt der Glinder den Sonntagsgang auf. Michi erzählt was von Heiserkeit und schweren Beinen. Wir grüßen den 267. Rennradfahrer oben auf der Kuppe. Überholvorgänge: keine. Immerhin auch kaum welche von hinten.
3. Zarautz: Die legendäre Küstenstraße in Richtung Zumaia beginnt. Mittlerweile mehr als 859 Rennradfahrer. Pro Richtung. Der Grüßarm schmerzt.
4. Deba: Ist das da nicht eine Strandbar? Yesss!! Also rein und Beine hoch. Läuft eh alles flüssig - wir haben Zeit. Meinen wir. Allein in der Bar weitere 20 Rennradfahrer.
5. Ondarroa: Küstenstraße Teil 2. Selbstverständlich neuer Asphalt. 1294 Rennradfahrer bislang. 20 Autos bis Leikeitio. Macht einfach eine Radstraße draus, de facto ist diese sich durch den schillernden Küstenwald schlängelnde Perle es ohnehin. Michi filmt derweil den nicht mehr ganz so runden Tritt der anderen. Und attackiert gleich am nächsten Buckel.
6. Aulesti: Zum Quatschen reicht die Power immer. Im schönsten Bayrisch hallt es durch die Gassen. Baskisches Publikum linst verstört aus der Bar in der engen Ortsdurchfahrt. Und lässt sich noch ein Glas Txakoli einschenken. Wir haben aufgehört, die Rennradfahrenden zu zählen. Auf deutschen Autobahnen zählt man ja auch keine Autos. Es ist so herrlich normal hier, dass auf zwei Rädern gefahren wird. Der E-Anteil ist dabei aus trainings-schleiferischer Sicht übrigens erfreulich gering.
7. Balcón de Bizkaya: Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Die schnelle Eingreiftruppe hat dabei nur eine Option: Monte Oiz. Soll weh getan haben. Stichstraße kommt von "stechendem Schmerz in Beinen und Lunge". Für das weitere Peloton führt ein leicht gelenkter Kurzaustausch zum einzig vernünftigen Schluss: Nix Oiz. Wir waren ja schließlich schon am Uitzi (vermutlich sein Schwager) und am Usateguieta (Verweandschaftsverhältnis ungeklärt).
8. Aretzabalagana-hä?? Es kann doch nicht sein, dass man erst 3 Txakoli oder Patxaran getrunken haben muss, um diesen Oiz-Verwandten dritten Grades aussprechen zu können. Die Sonne knallt übrigens, die Blickfelder verengen sich leicht im vorletzten Anstieg. Leider rollen wir aus Zeitgründen an der Grillparty im nächsten Dorf vorbei.
9. Ganguren - Warum hat San Miguel diesen letzten Bergrücken hier hin gefeuert? Könnte man nicht einfach so nach Bilbao einrollen? Es lebe die Kompaktübersetzung. Immerhin spart sich Michi den Wheely.
10. Plaza Nueva, Bilbao: Das Drehbuch sieht eine zeitgleiche Einfahrt aller Gruppen zum Tourziel dieser Baskenland-Rundfahrt vor. Das bekommen wir hin. Manch einer verpasst zwar den entscheidenden Abzweig zur Zielabfahrt ("Mein Garmin kriegt das mit den kleinen Abzweigen nicht so gut hin"), doch finden alle innerhalb des akademischen Viertels den Weg zu pintxos und Getränken auf Bilbaos lässiger Hauptplaza.
Ach so: Die zwischenzeitliche Idee des hier abgebildeten Oiz-Bezwingers, sich ob des täglichen Wahnsinns auf zwei Rädern (wahlweise auch des Ausgangs der deutschen Fußballmeisterschaft) aus dem Hotelfenster zu stürzen, wird verworfen. - Denn wozu schreiben wir hier 8 Tage an unserer Legende, wenn wir sie aufgrund eines verzweifelten Fenstersturzes niemandem mehr erzählen könnten? Und außerdem: Die Picos de Europa in Europa mit Angliru, Lagos de Covadonga, Glorio... stehen ja auch noch auf der bucket list. June 2023 und Achtung, Spoiler: voraussichtlich Ende August 2024. Wir sehen uns in Spaniens großem, grünen Norden!
official:
Was der Jaizkibel im Osten, ist der Igeldo im Westen von San Sebastián. Wir knüpfen nahtlos an den gestrigen Tag an und klettern sofort nach Start auf den Buckel. Anschließend geht es wunderschön an der grünen Küste ab Ondarroa über Lekeitio zum Pausenstopp. Fragt den Pausengott nach der Bar mit dem besten Kaffee der Hafenstadt! Über Muntibar geht es nun rauf auf den Balcón de Bizkaya (richtig: Panorama satt), um dann den nicht enden wollenden Hügeln bis nach Bilbao zu folgen. Frisch entsaftet durch den Ganguren als letzten Stieg der Tour stürzen wir nun förmlich hinab direkt ins Zentrum. Epische 140km berechtigen uns zu sofortigem Schmutzbier und pintxo-Orgie in der Altstadt, am Ziel unserer Klassikerwoche. Salud!