07.07.2023,
Jan:
... auf den
Mortirolo! Autsch! So sind auch die Temperaturen heute morgen am Stilfser Joch. Niedrig. Wir können aber alles anziehen, was unser Koffer zu bieten hat, denn Sylvia steht unten in Bormio und nimmt die überschüssigen Kleidungsstücke wieder in Empfang. So früh haben wir die Stilfser-Joch-Abfahrt nach Bormio natürlich fast alleine. Wir unterbrechen die Abfahrt kurz, um für den ein oder anderen noch den Umbrailpass mitzunehmen, so sie es gestern versäumt hatten. Die restlichen Höhenmeter ab Bormio sind alle schon gestern gefahren. Den
Umbrail wird man wohl dennoch eintragen dürfen?
In Bormio entledigen wir uns plangemäß der Kleidung. Nicht ganz plangemäß ist, dass Marius' gestern ausgetauschte Kassette alles andere als rund läuft. Während wir uns im Radladen Bormio Ski+Bike über ein Schaltungsupdate der Weiterfahrt nähern, schicke ich meine Restgruppe ganz entspannt voraus. Hier wird niemand verloren gehen, alles ganz erfahrene Radfahrer. Gut zu wissen.
Es folgt ein zügiges Paarzeitfahren mit Marius nach Mazzo. Kurioses Detail: Mazzo unterhält seit 2010 eine Städtepartnerschaft mit Riosa, dem spanischen Startpunkt zum
Alto de l'Angliru. Es folgt die legendäre Auffahrt auf den Mortirolo ab Mazzo, wo sich Blut, Schweiß und Tränen von Generationen von Giro-Fahrern mit unserem mischen. 12 Kilometer, 1300 Höhenmeter lauten die nackten Zahlen. Die Auffahrt ist unrhythmisch, das weiß ich wohl, aber nach der Befahrung des
Valico di Baite Salena vor zwei Tagen ist sie geradezu himmlisch rhythmisch. Ich drücke was geht, und kann so fast die ganze Gruppe noch auf den Film bannen. 1 Stunde 16, nicht schlecht, finde ich. Auf jeden Fall konnte ich nicht schneller. Christoph schon, ganze 12 Minuten, eine Ewigkeit! Weitere 2 Ewigkeiten schneller: Ivan Gotti 1996 in 42:40 min!
Der gestern angekündigte Regen am Mortirolo ist im Wesentlichen ausgeblieben, wir können uns bei frischem Wind kurz hinter der Passhöhe aufs Köstlichste bei Sylvia verpflegen. Rote-Beete-Ziegenkäse-Honig-Pflaumen-Gruß zum Zungeschnalzen!
Es folgt, in der Gegenrichtung von vor zwei Tagen, die fantastische Guspessa-Kammstraße. Hauptsache flach und wunderschön in beiden Richtungen. Insbesondere wenn man weiß, was man sieht: die Blicke schweifen über Tirano ins Puschlav und auf der anderen Seite ins Adamello-Massiv und hinunter auf Aprica. Immer wieder toll.
Wann wir denn wohl eine Kaffeepause machten? Fragt die Gruppe. "Erstmal runter fahren", ist meine Antwort, denn ich traue den Wolken am Horizont nicht. Die Abfahrt über den Passo di Santa Cristina ist technisch anspruchsvoll und sehr steil, wir fahren ihn entsprechend vorsichtig. Gestern Abend erreichten uns noch entsprechende Warnungen in der quäldich-Teamgruppe. Alle heile unten.
140 Höhenmeter stehen nun noch an, mittels derer wir ein Teil des Veltlins umfahren, in dem sonst nur die Staatsstraße bliebe. Am Horizont schieben sich die Gewitterwolken bedrohlich zusammen, und wir stürzen uns in die Abfahrt. Der vielversprechende Weg hinauf nach Teglio müssen wir auslassen, ganz zu Gunthers Leidwesen. Dafür checken wir am Fußpunkt der Abfahrt in San Giacomo di Teglio in die erstbeste Bar ein. Drei Minuten, bevor der Himmel die Schleusen öffnet. Bei bestem caffè schauen wir die Pyrenäen-Etappe der Tour de France, die die Barrista extra für uns einschaltet. Pünktlich mit Erreichen des
Col du Tourmalet lässt der Regen schlagartig nach.
Nur noch 35 flache Kilometer ins Hotel. Jetzt nur nichts mehr riskieren. Mit gemäßigtem Tempo, hoher Disziplin und hoher Schlauchwechselgeschwindigkeit erreichen wir unser fantastisches Hotel mitten im Nirgendwo.
Grandiose Gastfreundschaft. Grandioses Essen! Ich liebe Italien.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Die lange Etappe von 142 km relativiert sich dadurch, dass es zum Auftakt erstmal etwa 20 km bergab nach Bormio geht. Bis Mazzo fahren wir dann noch ein Stück das Valtellina hinab. Mazzo? Moment, da war doch was! Richtig, denn die Etappe wartet noch mit einem der gefürtetsten Pässe der Alpen auf. Der Giro d'Italia hat hier Legenden geschaffen, am Passo di Mortirolo. Er ist steil - das lässt sich nicht wegdiskutieren - aber er ist auch schön. Und spätestens auf der Kammstraße über den Passo di Guspessa wird wohl niemand mehr bereuen, in Mazzo links abgebogen zu sein. Dann geht es wieder hinab ins Valtellina, wo wir vorbei an Sondrio bis Morbegno ausrollen können.