23.08.2022,
Jan:
Seit der Saison 2017 zeichnet
majortom ja gesamtverantwortlich für unser Reiseprogramm, und das macht er ganz hervorragend. Was die Organisation dieser Reise durch die Cottischen Alpen angeht, sind wir ihm jetzt allerdings auf die Schliche gekommen: er hat sich einfach an meiner
Favoritenliste bedient und den siebentägigen Rundkurs konzipiert, der möglichst viele der enthaltenen Pässe abfährt. In meinen Top-10 stehen
Colle dei Morti,
Col Agnel,
Col du Galibier und
Colle delle Finestre auf den Rängen 4 bis 7. Dass der dei Morti sich elf Jahre lang so weit oben gehalten hat, ist verwunderlich, bin ich ihn doch vor elf Jahren zuletzt gefahren, auf der Premiere unserer heutigen Monumente der Südalpen. Denn, so Radsportphilosoph
Droopy, der schönste Pass ist doch immer der zuletzt gefahrene. Dennoch steht der dei Morti auf Rang 4. Entsprechend gespannt war ich heute morgen beim Start. Hatte ich gestern bei der Etappenansprache zu viel versprochen?
Aus zwei Gründen hat mich diese Fragestellung heute nur bedingt nervös gemacht: erstens ist der Anstieg sicher sehr schön, zweitens können wir am Ende des Tages kaum enttäuscht sein, denn am Ende des Tages gehen wir zum Abendessen wieder in die
Osteria Senza Fretta.
Un menu completamente diverso wurde mir versprochen. Gruppe 1 fährt schon um halb neun los, denn neben dem Morti wollen sie den
Colle di Sampeyre nicht nur an-, sondern überfahren, und das bringt einfach 3.700 Höhenmeter mit sich. Gruppen 2 und 3 begnügen sich mit der Standardvariante, fast schon ruhetagsverdächtig.
Es stellt sich heraus, dass ich mich an den unteren Teil des Anstiegs überhaupt nicht erinnern kann. Nicht an den Taleingang von Valgrana, nicht an Monterosso Grana, nicht an Pradleves. Hier folgen wir dem Zentrums-Zeichen, denn ein nicht-nicht-genannt werden wollender Teilnehmer bat heute morgen schon um eine Caffè- und Wasserauffüllpause. Natürlich war ich noch nie im Ortskern von Pradleves, der sich als äußerst herausgeputzt und wie geschaffen für eine Kaffeepause herausstellt. Sogar der Brunnen am Dorfplatz gibt Wasser.
Nun nimmt die Steigung langsam zu, und die Straße lässt die Grana immer weiter unter sich. Ah, das war es, was in der Passbeschreibung stand: am Kloster hat man das Schlimmste hinter sich, und ja: hier ist es richtig steil! Teilweise über 11 % auf dem Kilometer. Kurz vor dem Kloster überholen wir Hans Peter mit seiner Gruppe 3, die sich nicht zu einem Kaffee durchringen konnten, aber jetzt doch gerne irgendwie einen hätten, so scheint mir. Am Klosterparkplatz steht, genau wie vor elf Jahren, der Castelmagno-Käseverkaufsstand. Ich kaufe wieder einen Laib Käse, na gut, einen halben, einen halben kleinen, aber immerhin 700 g schwer. Kein Problem, meine Guide-Tasche ist fast leer. Insbesondere fehlt eine Messerspeiche, mit der ich 2011 noch auf der Passhöhe den Käselaib klein schneiden konnte. Heute gebe ich ihn einfach bei Natascha ab. Am Kloster-Parkplatz füllen wir aber erstmal das Wasser auf. Auch eine Erkenntnis aus der Passbeschreibung: am Kloster gibt's Wasser. Und an diese Szenerie kann ich mich jetzt natürlich wieder erinnern. An die nun erreichte Almstufe, an die drei mächtigen Zinnen, die sich vor uns in Richtung Passhöhe erheben, und an das mächtige, sich nach links zur Passhöhe des dei Morti hinaufwindende felsdurchsprengte Trogtal. Kurz nach dem Kloster lässt auch die Steigung wie versprochen nach, oder zumindest ist sie nicht mehr so anstrengend in Anbetracht der Grandezza der Szenerie. Ich habe doch nicht zu viel versprochen gestern Abend.
Während ich am Kloster Bilder meiner vorbei fahrenden Gruppe mache, kommt Paolo aus Avigliana von hinten, mit dem ich im Folgenden ein bisschen fahre. Er kennt die Alpen hier natürlich, und wir fachsimpeln ein wenig über die Anstiege, was mir großen Spaß macht. Sein Favorit ist übrigens der Agnel. Na gerne, den fahren wir ja morgen. Er möchte noch über
Madonna del Colletto weiter fahren, eine Option, die ich auch noch heimlich im Köcher habe. Ich habe sogar einen passenden Track auf dem Garmin. Rein sportlich sei der Anstieg, fast komplett im Wald, der Asphalt auf der Auffahrt etwas schlechter, aber in der Abfahrt in Ordnung. Gut zu wissen, ich will ja schließlich nicht alleine über den Berg und brauche Argumente.
Paolo erklärt mir auch, warum der Colle dei Morti heute nicht mehr Colle dei Morti heißt, sondern Colle Fauniera. Colle dei Morti kommt von den vielen Toten, die die Schlachten des Österreichischen Erbfolgekrieges 1744 hier gefordert haben (danke an
AP für die Korrektur des ursprünglich hier stehenden Fehlers). Irgendwann aber habe sich dann Colle Fauniera durchgesetzt, und heute weist kein Hinweisschild mehr auf den alten Namen hin. Es wird Zeit, dass wir auf quäldich diese Erkenntnis nachziehen.
Oben auf der Passhöhe jodelt Bennie bei unserer Ankunft. Sowieso sind alle Gruppen ziemlich durcheinandergewürfelt, nur Gruppe 1 ist natürlich schon weg, die hier oben umkehrt und über den
Colle d'Esischie nach Norden Richtung Sampeyre abfährt. Bennie ist mal wieder nicht ausgelastet und loggt als erster auf die Madonnen-Option ein. Dirk und Joachim sind auch mit von der Partie, der Rest wartet mal verhalten optimistisch den Caffè in Demonte ab, den Fußpunkt der anstehenden Abfahrt. Aber wir haben keine Eile und gestalten die Pause bei Natascha
senza fretta. Was für ein Panorama, was für ein Pass. Und habe ich einmal das Wort Verkehr erwähnt in diesem Bericht? Nein, weil es keinen gab. Ein Pass dieser Grandezza und faktisch kein Verkehr. Das gibt es nur hier am Fauniera. Die Straße ist zu schmal für die SUVs, zu schmal für die Valentino Rossis, genau richtig aber für uns!
Unten in Demonte entscheiden sich Martin, Robert und Tobias für die Eisdiele in Cuneo (gute Entscheidung), und Bennie, Dirk, Joachim, Rolf, Steffen und ich für die sportliche Erweiterung (ebenso gute Entscheidung). Der anspruchsvolle Anstieg führt auf vornehmlich bestem Asphalt (Überraschung!) über 6,5 Kilometer und 550 Höhenmeter durch den Wald (keine Überraschung) zur Kapelle. Dann aber oben beste Blicke ins Val Gesso und weiter nach Süden in die Gipfel der Seealpen (große Überraschung!). Denn bei meinere kleinen Geografie-Einlage in der Bar in Demonte habe ich natürlich einen Umstand ganz vergessen: die Stura di Demonte bildet die Grenze zwischen Cottischen und Seealpen, und nun sind wir also schon in den Seealpen unterwegs und blicken tief hinein Richtung
Colle di Tenda. Die Abfahrt ist wie besprochen schön, fast rasant. Unten in Valdieri sammeln wir Paolo wieder auf und nehmen ihn mit unserem Zug noch einige Kilometer in Richtung Cuneo mit, das wir nur wenig später und bei mäßigem Verkehr erreichen.
Italienisch-Lektion des heutigen Tages: Cuneo betont sich auf der ersten Silbe. Danke, Paolo!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Darf der Colle dei Morti noch als Geheimtipp gehandelt werden? Vermutlich schon, denn für einen 2000er-Pass ist er vergleichsweise unbekannt, überzeugt mit einer wilden, ursprünglichen Schönheit, und weist aufgrund der schmalen, verwegenen Staße auch gewisse Abenteuer-Charakteristik auf. Wir widmen dem Colle dei Morti die ganze dritte Etappe unserer Reise und fahren ihn in einer entspannten Rundtour ab Cuneo: das wunderschöne Valgrana hinauf von Osten bis zum Vorpasse Colle d'Esischie, weiter zur Morti-Passhöhe, und schließlich im Süden über das Stura-Tal zurück.