23.08.2022,
Jan:
Zum Abschluss eines wunderbaren Essens in der
Osteria Senza Fretta in Cuneo nimmt mich der Wirt zur Seite und fragt mich, ob alles in Ordnung gewesen sei. Mehr als in Ordnung, ist meine Antwort, fantastisch sei es gewesen. Das freue ihn sehr, denn er habe sich schon über unsere "schöne Anfrage" sehr gefreut. Was daran schön war? Noch nie sei es ihm passiert, dass er gehört habe, jemand wolle sein bestes Abendessen, und zahle gerne das Gewünschte dafür, gerne auch im Voraus. Die Anfrage sei so schön gewesen, dass er schon befürchtet hätte, sie sei ein Täuschungsversuch. War sie aber nicht, und so hätte er seine beste Küche präsentieren können.
Der Tag ist aber schön zuende gegangen! Der Rest ist schnell erzählt. Poebene,
Rocca di Cavour, Poebene, Paninopause in Paesana, hoch zur
Po-Quelle, runter von der Po-Quelle, Poebene, Cuneo, cena senza fretta!
So die Kurzfassung, aber die Etappe war viel zu ereignisreich (und auch viel zu schön), um sie mit einem solchen Kurzbericht abzuspeisen. Und ich müsste mir jahrelang von Tom anhören, meine Blog-Überschriften seien länger als meine Berichte. Beginnen wir also mit der Entscheidung zur Paninopause: wir bei quäldich finden, dass wir nicht unbedingt Dieselabgase in die Luft blasen müssen, wenn es sich vermeiden lässt. Und so lassen wir Natascha nicht mit dem dreieinhalb Tonnen schweren Gepäcktransporter zur Po-Quelle hinauffahren, um dort für uns eine Verpflegung anzurichten. Stattdessen habe ich in der Bar Gino am Fuß des Anstiegs in Paesana Panino für alle bestellt. Der flache Weg dorthin wird von einer Kuriosität unterbrochen: der Befahrung des Rocca di Cavour, einem kleinen Hügel in der Poebene, der wie aus den Alpen geschleudert erscheint. Schon gestern hatten wir ihn in der Abfahrt des
Colle Pra Martino ausmachen können, jetzt fahren wir darauf zu. Cavour ist ein lebhaftes Städtchen am Fuß des Felsens, für das wir uns heute aber keine Zeit nehmen. Zu früh für eine Kaffeepause, ist die einhellige Meinung. 100 Höhenmeter später genießen wir einen 360-Grad-Rundumblick auf die Cottischen Alpen im Westen, Turin im Osten und die Seealpen und die Ligurischen Alpen im Süden. Traumhaft! Selten waren 100 Höhenmeter so gut investiert.
Ruhigen, aber zügigen Tritts rollen wir weiter nach Süden, durch Barge hindurch und dann Richtung Südwesten. Uups, es sind ja doch 200 Höhenmeter bis Paesana. Da war der Reiseleiter aber schlecht vorbereitet. Macht aber nichts, denn in Paesana, kurz hinter der
Colletta di Barge, liegt Paesana und somit die Bar Gino. Unsere Panini sind schon fertig, köstlich mit Gemüse und allerlei Aufschnitt belegt, und nur die wenigsten stecken sich das Panino in die Trikottasche. Auch ich esse meins jetzt und bestelle noch ein zweites. Natürlich ist der Caffè gut.
Ab hier führt der Weg zur Po-Quelle genau nach Westen, die einzige Straße hinauf zum
Pian del Re müssen wir später auch wieder zurück fahren. Es rollt gut, aber es ist steiler als angenommen. Wenn auch nicht steiler als uns das Profil verraten hat. Hinter dem einzigen Dorf, Crissolo, wird die Straße schmal, wir verlassen zusehends den Wald und fahren in die Almstufe ein. Über wenige Kehren wird die Aussicht immer imposanter, die aufragenden Felsen verschwinden in einer drohenden Wolkendecke. Kurz glauben wir, das Ende läge im Nebel, doch dann biegen wir um die letzte Kurve und sehen das Rifugio vor uns. Direkt am Parkplatz sprudelt herrlich kaltes, erfrischendes Quellwasser aus einem Rohr. Zur Po-Quelle müssen wir einige Hunder Meter zu Fuß gehen, was die nun gesammelt anwesenden Gruppen 2 und 3 für ein gemeinsames Gruppenbild nutzen.
Nun stürzen wir uns in die Abfahrt, und nun beweist es sich, dass die gestrige Italienisch-Lektion nicht den gewünschten Effekt hat: das Tiramisu hat uns zwar zur Pian del Re hochgezogen, aber eben leider doch nicht wie gewünscht auf bestem Asphalt.
Daher die Italienisch-Lektion für heute: Schaltröllchen, auf Italienisch "Rotella di Cambio" oder auch "Pignone di Cambio", rütteln sich auf italienisch-schlechtem Asphalt gerne los. Schon bei Garmisch-Rom regelmäßig, wie Rainer sich erinnert. So wie meins heute, wie ich schmerzlich erfahre, als ich auf einmal nicht mehr richtig treten kann. Die Suche nach dem verlorenen Schaltröllchen bleibt erfolglos. Ich rolle noch zurück nach Paesana, wo meine Gruppe noch in der Bar Gino sitzt. "Du hast einen neuen Job", sage ich noch zu Martin. Kurz darauf setzt sich die Gruppe ohne mich in Gang, zum
finale con tanto fretta nach Cuneo. Ich rufe Fabio an, den hiesigen Bike-Shuttle-Fahrer. Er bringt mich 14 km weiter, genau dem heutigen Track folgend, zum
Cicli Sport Santysiak nach Revello. Er hat heute offen, an einem Montag! Was für ein Glück. Erik fackelt nicht lange und baut aus einem Ultegra-Schaltwerk, das er auf seiner Werkbank liegen hat, das Schaltröllchen aus und sagt
Arrividerci. Ich hätte jeden Preis gezahlt für dieses Schaltröllchen, aber Erik will partout kein Geld, und ich merke, dass ihn auch mein Trinkgeld beleidigen würde. Er sei doch selber Radfahrer, gibt er mir zu verstehen. Danke, Erik! Um halb sieben bin ich in Cuneo.
So hörte sich der Poquellen-Besuch in der Vorschau an:
Norditalien südlich des Alpenbogens wird geprägt von der Poebene. Heute fahren wir zur Quelle des Po, der ganz im Westen Italiens nur unweit vom Alpenhauptkamm an der französischen Grenze entspringt. Hier liegt das Pian del Re, aufgrund der Nähe zum Ballungsraum Turin ein beliebtes Ausflugsziel, da einem von hier oben auf über 2000 m Höhe das ganze Piemont zu Füßen liegt. Am Montag sollten hier jedoch nicht ganz so viele Ausflügler unterwegs sein, so dass wir die Sackgasse in die piemontesischen Alpen fast ganz für uns haben sollten. Vorher nehmen wir mit der Rocca di Cavour noch eine Kuriosität mit: ein quasi von der Poebene verschluckter letzter Vorposten der Alpen. Nach dem Pian del Re können wir es dann am Alpenrand entlang ausrollen lassen bis in den schönen Etappenort Cuneo.