18.07.2019,
majortom:
Da waren wir doch schon. Herzliche Grüße an alle fleißigen Leser unseres Reiseblogs vom Stilfserjoch. Bergankunft auf 2757 m Höhe. Aus meinem Hotelzimmer blicke ich hinab auf die Südwestauffahrt vom Bormio, kann sozusagen zum Umbrailpass runterwinken, auf dem wir gestern noch standen (die meisten sind ja sogar noch die paar Kehren vom Umbrail zum Stelvio rauf gefahren), schaue auf Augenhöhe auf die gerade noch sonnenbeschienenen Berge ringsrum. So langsam leert sich vermutlich auch der höchste Rummelplatz Europas, die Finisher-Trikot-Ständer werden reingeholt und Ernstl und Richard von ihren respektiven Würstel-Buden essen die letzten Hirsch-Bratwürste
con crauti selbst auf. Bald haben wir die Passhöhe wohl fast für uns allein. Ein erhebendes Gefühl nach einer wahrhaft monumentalen Etappe.
Heute morgen in Schuls a.k.a. Scuol: bedeckter Himmel, nicht mehr ganz so heiß wie die letzten beiden Tage. Dennoch starten wir gut gelaunt in die 18 km Abfahrt das Inntal hinunter bis Martina, wo wir sogleich den Fluss überqueren und somit wieder die Europäische Union betreten. Stippvisite in Österreich, denn wir fahren über die Norbertshöhe nach Nauders und weiter zum Reschenpass. Unerklärlicherweise scheint der Tatendrang heute groß zu sein, denn eigentlich viel zu schnell drückt unsere Gruppe zur Norbertshöhe hinauf. Vielleicht Norbert zu Ehren, der allerdings sämtliche Nötigungsversuche, seine Gruppe an
seiner Passhöhe zu einem Bacardi pur (oder Jägermeister oder Tequila) einzuladen, nonchalant abwehrt und sich erstmal in die Zigarettenpause verabschiedet.
Eine kurze Abfahrt später sind wir in Nauders und cruisen gemächlich über den Radweg parallel zur Reschenpassstraße. Eine Passhöhe ist nicht auszumachen, sie muss sich wohl irgendwo kurz hinter der Grenze nach Italien verstecken. Also wieder in Italien zurück. Sehr schön ist auch der Radweg entlang des Reschensee, auch wenn wir auf der welligen Straße abermals viele Körner lassen, die wir vielleicht noch am Stelvio bräuchten. Also nichts wie hinab ins Vinschgau nach Glurns, wo Sylvia sich mal wieder nicht lumpen lässt und erneut ein Potpourri an Köstlichkeiten zur Mittagspause anbietet. Kaffee hat sie allerdings (verständlicherweise) nicht, so dass wir in Prad nochmals einkehren, um uns mental für den Schlussanstieg zu wappnen.
1850 Höhenmeter zum Stilfserjoch. Der Respekt ist groß, das Tempo zunächst verhalten, doch es rollt ja noch schön im unteren Teil. Die ersten Kehren lassen noch auf sich warten, doch schließlich steht da auch das Schild mit der 48. Es geht noch verdammt weit rauf. Mein Flow hält an bis zum Mittelteil, wo einige fiese Rampen bezwungen werden wollen. Hier verliere ich den Anschluss zur Verfolgergruppe und beschließe, mich ins Grupetto zurückfallen zu lassen. Das auch gar nicht lange auf sich warten lässt. Ein paar Kehren haben wir auch schon runtergezählt...
Es wird hart. Der Rhythmus ist immer schwieriger zu finden. Und schließlich baut sich auch noch die scheinbar übermächtige Felswand vor uns auf, es sind noch so viele Kehren übrig, und man sieht sie alle. Längst sind alle Einzelkämpfer, Mann oder Frau versus Berg. Doch die Kehren fallen eine nach der anderen, wir zählen sie herunter, und schließlich stellen wir die Räder vor Ernstls Würstel-Paradies ab. Geschafft. Was für ein Moment! Nur ein paar Sekunden den Trubel ausblenden, das Schlangestehen am Passschild ignorieren, und die Bergankunft auf 2757 m genießen.
Eine monumentale Bergankunft.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Eine Etappe, drei Länder. Wir fahren über die Norbertshöhe nach Nauders in Österreich, über den Reschenpass zurück nach Südtirol und beenden die Etappe mit einer monumentalen Bergankunft auf dem Stilfser Joch.
Stilfser Joch, Königin der Passstraßen. Wer gute Beine hatte, stand vielleicht gestern schon vom Umbrail aus schon kurz oben. Wohl kaum ein Pass ist prestigeträchtiger, und heute machen wir daraus die Bergankunft der Bergankünfte – und übernachten einfach auf dem Pass. Ein bisschen Vorgeplänkel muss natürlich auch sein. So fahren wir das Engadin von Scuol aus weiter bergab und erreichen Nauders über die einsame Norbertshöhe. Dann geht es hinauf zum Reschenpass, wo wir den bekannten vom Stausee fast verschluckten Kirchturm bewundern können. Nach rasanter Abfahrt ins Vinschgau erreichen wir Prad – und dann geht es los. 48 Kehren warten auf uns – die berühmte Ostauffahrt zum Stilfser Joch. Wieder runter fahren wir erst morgen, denn heute übernachten wir auf 2757 m Höhe direkt am Pass.
Variante: Ein schöner Abstecher führt ins Samnauntal. Das bedeutet allerdings eine Etappe von 124 km und 3500 Hm.