28.03.2023,
Jan:
Das Wetter ist nicht in der ganzen Woche stabil vorhergesagt, und daher müssen wir heute eine der drei wichtigsten Etappen vorziehen, so lange das Wetter noch hält. Gestern Abend habe ich in der Reiseleiteransprache gesagt, dass man drei Dinge sehen muss in einer Ligurienwoche mit quäldich: den Tomarlo, das Pranzo di lavoro in Montebruno und die Cinque-Terre-Etappe. Da die Tomarlo-Etappe gestern lang und hart war, und die Cinque-Terre-Etappe eine weitere Königsetappe wäre, wählen wir für die heutige Etappe die klassische Portello-Barbagelata-Runde mit Pranzo di lavoro in Montebruno. Als Dessert kann, wer will, noch den Romaggi wegsnacken. Mit 2150 Höhenmetern ist die Dessert-freie Variante auch entspannte-Gruppen-konform, mit Romaggi sollte wirklich jeder genug aus diesem weiteren schönen Tag heraus kommen.
Anders als gestern, als wir kalt kalt und lange flach ins schattige Sturlatal fuhren, können wir uns heute auf der Panoramica Richtung Leivi warmfahren. Wundervolle Blicke Richtung Sestri versprechen einen schönen Tag.
Kurz darauf fahren wir mal wieder ins Fontanabuona, hoch bis Gattorna, wo wir uns am Brunnen am Abzweig zum Portello die Flaschen füllen. Nun liegen 900 der schönsten Höhenmeter der Region auf dem Schirm. Seltsamerweise finden alle Einheimischen den Portello nicht sonderlich interessant. "Nur im Wald" hört man da, oder "schlechter Belag". Stimmt auch beides, aber der Wald ist noch laubfrei und der Belag ist so schlimm nicht, dafür ergeben sich zunächst durch den Bewuchs hindurch und im oberen Teil freie Blicke aufs Meer. Ganz oben an der Kapelle sehen wir Korsika, Elba und Capraia im Mittelmeer liegen. Auch ein Novum hier oben!
Solcherart beflügelt tasten wir uns die wirklich schlechte Abfahrt ins Trebbiatal hinunter. Erst nach zweimal rechts Abbiegen erreichen wir die SS45 und somit wieder sicheres Terrain, dem wir leicht wellig bergab folgen. Schon reiten wir in Montebruno ein, wo Gruppe 1 schon auf der Straße in der Sonne sitzt und das Pranzo di Lavoro genießt. Das Pranzo di lavoro, das Arbeitsessen, ist die italienische Institution, die jedem Dorf im Hinterland eine Osteria, eine Trattoria oder ein Restaurant garantiert: bei den öffentlichen Bauvorhaben ist das Essen der Arbeiter in der örtlichen Gastronomie eingepreist. Wir profitieren davon und essen Nudeln, Gnocchi, Braten, Schnitzel, Bohnen, Salat und Reiskuchen.
Solcherart beschwert machen wir uns an einen der ikonischsten Anstiege der Region:
Barbagelata. Die Straße ist im Gegensatz zum letzten Jahr nun auch asphaltiert, was einen Durchschnittssteigungspunkt abzieht. Es läuft! Es läuft, bis wir vom sensationellen Alpenpanorama ausgebremst werden. Seit gestern sind wir uns nun sicher, dass wir bis in die Cottischen Alpen sehen können: Der Monviso ist unverkennbar. Weiter oben sehen wir die Seealpen und die Cottischen Alpen im Cinemascope, kurz danach auf der anderen Seite Elba und Korsika. Wahnsinn. Da spielt es doch keine Rolle, dass mich der Wolf des Alkoholikerpärchens in Barbagelata fast anfällt, als ich der besseren Perspektive halber auf deren Vortreppe steige, um ein Gruppenfoto zu machen. Das leider wegen falscher Einstellungen misslingt.
Scoglina in der Abfahrt: einfach ein Traum. Und danach noch über den Romaggi. Hier fährt Marco Sanguineti hinter uns in den Anstieg hinein, wie sich herausstellt der Onkel zweiten Grades unserer Hotel-Gastgeberin und bestens bekannt mit allen Hotelmitarbeitern. "Der heutige Radsport hat keine Seele mehr", berichtet er mir auf italienisch. Als er noch Rennen gefahren sei, sei das anders gewesen. Marco ist 80, und wir fahren ziemlich schnell. Mein Held!
Solcherart inspiriert greife ich am finalen Anstieg zur Kirche in Leivi an. Ich habe ein neues Ziel: 34 Jahre habe ich noch, um so stark wie Marco zu werden. Aber vorerst bin ich auch mit der heutigen Etappe sehr zufrieden.
Urprüngliche Etappenbeschreibung
Weniger Dopplung mit mehr Strecke und mehr Höhenmetern, und dem zusätzlichen Anstieg zum schönen Passo della Crocetta. Dazu einmal mehr über die Via Aurelia am Mittelmeer entlang nach Westen. Noch schöner!