02.05.2023,
majortom:
Eigentlich wollte ich ja so spät am Abend keinen Bericht mehr schreiben. Aber die Bilder von @
Luc sind so gut, dass wir doch die Weltöffentlichkeit daran teilhaben lassen wollen. Schließlich gab es in der letzten Nacht den lang ersehnten Wetterumschwung zum Besseren, und so können wir heute bei zumeist strahlendem Sonnenschein ein weiteres der zahlreichen Seealpen-Highlights spielen: die
Madone d'Utelle, das der Legende nach einst von spanischen Seeleuten gegründete Kloster auf einem Berg im Hinterland von Nizza, wozu ebenjene Seeleute von der Jungfrau Maria zwangsverpflichtet worden waren, nachdem sie sie aus einem schrecklichen Sturm gerettet hatte. Buenos dias, Madonna.
Nur wenige Wolken am Himmel beim Etappenstart, dafür einige Wolken um meine Stirn, als mir beim Beheben eines Leihrad-Plattens unerwarteterweise ein Schwall Dichtmilch entgegen kommt. Die haben Tubeless montiert, kann ja keiner ahnen. Also bricht die entspannte Gruppe mal wieder mit Verspätung auf, was die Stimmung zwar nicht trüben kann, aber engesichts des straffen Zeitplans auch nicht unbedingt so gewollt ist. Was solls. Mark navigiert uns souverän auf den ersten zweieinhalb Kilometern durch den nizzaischen Berufsverkehr, dann haben wir den Radweg entlang des Var-Tals erreicht und cruisen völlig entspannt für 20 km in Zweierreihe dahin. Weiter geht es das Var-Tal hinauf, das wir nun zwar mit dem motorisierten Individualverkehr teilen müssen, das aber jetzt auch schöner wird. Das Tal verengt sich, wenig GPS-Empfang, ein paar Wellen führen zum ersten Teilnehmerschwund - spontan wir sich doch für die Umkehr in den Ruhetag entschieden.
Endgültig heben sich die Mundwinkel bei der Passage im Tinée-Tal, und im schönen Serpentinenhang nach La Tour, der den längsten Anstieg des Tages zum Kloster einläutet. "Wir könnten vor der Mittagspause schon noch irgendwo einen Cappuccino nehmen", schlägt Luc vor, dessen ausdauernde Gruppe gleichzeitig mit uns hier eintrifft. "Bis zur Mittagspause gibt es nicht mal Gebäude, geschweige denn welche, die Cappuccino ausschenken", entgegne ich. Gerade das zeichnet die Westauffahrt zur Madone aus: völlige Einsamkeit auf schmaler Straße. Auf steiler Straße, hätte ich vielleicht erwähnen sollen, aber das hatte ich so ehrlich gesagt gar nicht mehr auf der Rechnung, und auch mir selbst ziehen die Rampen von 17 Prozent ein wenig den Stecker. Spaß macht es dennoch irgendwie. Die Landschaft ist toll. Felswände, dann dichter Wald, und ein verwegenes Sträßchen mitten hindurch.
Mit viel Schwarmintelligenz befreien wir am Abzweig zum Kloster dann Wolfgangs verklemmte Kette - danke an Andreas, der den entscheidenden Hinweis zum letztendlich erfolgreichen Lösungsansatz liefert. Mit etwas Verspätung fährt somit das Grupetto zum Kloster hinauf, ist aber nicht minder begeistert. Von der Sicht bis zum Mittelmeer bei Nizza, von der Sicht in die Hochalpen, der einzigartigen alpinen Atmosphäre, den uns bemitleidend zusehenden Schafherden.
Unsere bewährte Ravioles-Location, wo die Mittagspause geplant war, hat leider geschlossen. Doch es gibt keine Probleme, die man nicht zumindest vorübergehend mit Studentenfutter lösen kann. Immerhin den gewünschten Brunnen kann ich problemlos in Saint-Jean-la-Rivière aus dem Hut zaubern. So ist die Stimmung immer noch gut, als wir mit Kaloriendefizit zum
Le Saut des Français hinauf fahren. Die Höhenstraße oberhalb des Vésubie-Tals, in den Hang gebaut, lohnt jedenfalls den zusätzlichen Aufwand. Und auch die Boulangerie Patisserie Alexis, die uns schließlich in Levens mit lang ersehnter Tourte aux Blettes* versorgt. Für diese verspätete Mittagspause hat sich das Warten in jedem Fall gelohnt.
Es kommt selten vor, dass wir bei der Mittagspause bereits so gut wie zurück im Hotel sind. Tatsächlich fehlt zu diesem Zeitpunkt lediglich noch: eine rauschende Abfahrt ins Var-Tal, und das Zurückcruisen auf der Radautobahn nach Saint-Laurent. Was wir mit Teamwork und einem verzögerten belgischen Kreisel hervorragend hinbekommen. Auf den letzten zwei Kilometern im Berufsverkehr kommen uns dann meine in der Banlieue von Genf erworbenen Stadtverkehr-Kenntnisse zugute... und schon schließt sich nach einer langen, harten, aber wunderschönen Etappe am Hotel der Kreis. Und wir haben nur noch das erneut opulente Abendessen vor sich, diesmal im auf Fisch und Meeresfrüchte spezialisierten People. Bon appetit.
*Bei der Tourte aux Blettes handelt es sich um eine weitere Spezialität der Region Nizza. Den Kuchen mit Mangoldfüllung gibt es sowohl als süße, als auch als salzige Variante, Alexis serviert uns letzteres.