Wir sind wieder da! Bienvenue en Savoie. Voller Stolz habe ich gestern beim Abendessen verkündet, dass die Savoyer Alpen 2013 die erste Reise war, die ich in alleiniger Verantwortung für quäldich organisiert habe. Da ich außerdem vier Jahre in Hochsavoyen gelebt habe, ist es für mich gewissermaßen eine Heimkehr, und so war die Vorfreude bei mir groß, 2019 diese Reise wieder leiten zu dürfen. Die Messlatte liegt mit dieser Ankündigung natürlich hoch, aber dieser Herausforderung stellen wir uns natürlich mit einem Lächeln und großer Selbstsicherheit. Die Etappe von Annemasse im Großraum Genf in die Olympiastadt Albertville ist auf dem Papier keine große Herausforderung, trotz der drei Pässe, die auf dem Programm stehen. Aber da schon am Morgen die Sonne vom wolkenlosen Himmel strahlt, ist mir bewusst, dass die sommerliche Hitze in den Tälern Savoyens heute wohl der größte Gegner wird. Aber voller Tatendrang packen wir es an, alle sind heiß, und zunächst startet Peter noch mit einer unter psychologischem Druck zwangsvergrößerten sportiven Gruppe, und kurze Zeit später Phil und ich in einer Hybridgruppe, da Phil sonst mit ca. 20 Teilnehmern unterwegs gewesen wäre.
Von großer Hitze ist zum Glück am Morgen noch nicht viel zu spüren, als wir nach kurzer Baustellenumleitung in die Auffahrt zum Mont Salève navigieren, dem Genfer Hausberg. Auch das befürchtete Verkehrschaos bleibt noch aus; die naherholenden Genfer Yuppies sind wohl noch irgendwo beim Brunch oder so. Uns soll es recht sein. Der steile Teil der Auffahrt ist im schattigen Wald bald überwunden, und am ersten empfohlenen Aussichtspunkt an der Bergstation des
télépherique trifft das Grupetto, in welchem ich unterwegs bin, auf einen großen Teil der Gruppe, die hier die Aussicht hinab auf den Genfersee genießen. Ich scheuche sie weiter, in der Hoffnung, sie noch zum zweiten, spektakuläreren Aussichtspunkt am Observatoire überreden zu können. Und tatsächlich stehen wir wenig später auf der Wiese mit sensationellem Blick in den Jura, über Genf und den See hinweg. Die Gruppe sammeln wir dann wenig später am höchsten Punkt, wo auch der Montblanc am Horizont in der Sonne strahlt, lediglich ein kleines Wölkchen umwabert spielerisch diesen Gipfel. Ein unglaubliches Panorama! Wir haben heute sehr viel Glück mit der klaren Sicht, denn aus Erfahrung weiß ich, dass man so ein tolles Panorama auch am Salève nur selten hat.
Es geht weiter über die Salève-Kammstraße, die ich gleich bis nach der folgenden Abfahrt freigegeben habe. Es rollt wunderbar, die Aussichten eröffnen sich links und rechts, und es ist kaum ein Auto hier oben unterwegs. Wieder mal bewahrheitet sich, dass die heimlichen Highlights unserer Reisen oft nicht die bekannten hohen Pässe sind, sondern die Geheimtipps der Voralpen, die nicht jeder auf der Rechnung hat. Ein Traum!
Die Abfahrt nach Cruseilles setzt sich fort in den anstrengendsten Teil der Etappe, obwohl wir auf das nächste Zwischenziel Annecy zu gutes Tempo fahren können, da es ständig leicht bergab geht. Unsere Zweierreihe stößt trotzdem auf Widerspruch der motorisierten Bevölkerung – die Brunchzeit haben wir jetzt wohl überschritten, und so langsam zieht es Urlauber und Einheimische an die Strände des Lac d'Annecy. Schon bald haben auch wir das Venedig der Alpen erreicht und rollen nach Guide-Anweisung gemächlich die von Urlaubern gesäumte Seepromenade entlang. Aber es ist auch ein Abschnitt zum Genießen. Einen Zwischenstopp beschert uns dann die gestern zuende gegangene Relaxed-Reise, denn ein Teilnehmer dieser Reise hatte in Annecy vergessen, seinen Zimmerschlüssel im Hotel abgegeben. Über Umwege ist dieser Zimmerschlüssel in meine Trikottasche gewandert, und ich parke die komplette Gruppe am Hotel in Annecy, das zum Glück direkt an unserem Track liegt. Wir machen aus der Not eine Tugend und füllen dort gleich die Bidons wieder auf, um für den sehr heißen Anstieg zum Col de la Forclaz gerüstet zu sein.
Allerdings erreicht uns hier die Nachricht, dass Begleitfahrer Luigi* ein Fauxpas unterlaufen ist. Es gibt einfach zu viele Cols de la Forclaz in dieser Gegend, und das Navi hat ihn zum falschen Exemplar kurz vor der Schweizer Grenze geführt. Weswegen die Mittagsverpflegung heute leider ausfallen muss. Da man uns vieles nachsagen kann, nur kein mangelndes Improvisationstalent, haben wir natürich sofort einen Ersatzplan parat: ein paar Kilometer hinter Annecy befindet sich an einem sehr schönen Strandbad die Buvette de la Plage de Brune, wo das "Sandwich du Jour" den heutigen Verkaufsschlager darstellt, und wir im Schatten sitzend den Badenden zusehen können. Von unserer Gruppe sind es nur die Guides, die vom Badeangebot gebrauch machen (Fotomaterial nicht vorhanden).
Das Sitzpolster der Hose ist dann schon wieder trocken, bevor wir in den Col de la Forclaz einfahren. Wieder erzeugen wir den Unmut der den See umrundenden Autofahrer, aber da müssen sie durch, denn es ist Sonntag, und da können sie ruhig mal ein wenige entspannter sein. Die Passauffahrt wird dann zur befürchteten Hitzeschlacht, die insbesondere dem Berichterstatter sehr zu schaffen macht. Dafür wird die Aussicht über den türkisfarbenen See vor toller Alpenkulisse immer besser, und als wir dann am Aussichtspunkt an der Passhöhe stehen, sind alle begeistert. Schon im vergangenen Jahr konnte ich mit diesem Aussichtspunkt ja den Reiseleiter Jan für die Etappe begeistert, nachdem er im Vorfeld meiner Planung anno 2013 noch argumentiert hatte, dass sich keine Sau für das "Savoyer Gekrüssel" interessiert. (Disclaimer: Jan ist trotzdem cool!)
Die Abfahrt nach Faverges ist dann ähnlich steil, schmale Straße, unübersichtlich, und es sind nicht nur die Shuttebusse der Gleitschirmflieger unterwegs, so dass wir mit erhöhter Vorsicht abfahren müssen. In Faverges entscheiden sich dann drei Gruppenmitglieder für die Umfahrtung des Col de Tamié und nehmen den Radweg, der über Ugine im Tal nach Albertville führt. Ein vierter Teilnehmer wird von seiner streikenden DI2 zur Umfahrung gezwungen, da er nicht mehr aufs kleine Blatt schalten kann. Der Tamié war als Rollerberg annonciert, insbesondere die faux plat-Abschnitte sind jedoch trotzdem nicht zu unterschätzen. Da ich die Strecke gleich bis Albertville freigegeben habe, nehmen wir die sehr schöne Abfahrt vom Collet de Tamié dann nur noch zu zweit in Angriff. Und rollen wenig später im bewährten Hotel ein.
Räder ins Auditorium, Radfahrer in den Pool!
Epilog: auch Luigi* ist von seiner Odyssee bereits zurückgekehrt und serviert das entgangene Mittagsbuffet nun eben am Pool.
*Name von der Redaktion geändert.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Die Auftaktetappe führt uns von Annemasse über drei Pässe in die Olympiastadt Albertville. Es sind noch nicht die ganz hohen Alpenpässe, die wir heute unter die Räder nehmen, schließlich steht heute das Einrollen und Kennenlernen im Vordergrund. Landschaftlich bekommen wir jedoch auch heute jede Menge geboten. In Annemasse befinden wir uns auch gleich schon am Fuß unseres ersten Anstiegs, des Genfer Hausbergs Mont Salève. Diesen Berg überqueren wir auf einer Kammstraße in Nord-Süd-Richtung und können nacheinander die Ausblicke auf Genf und den See, in die Hochalpen bis zum Montblanc und schließlich zum Lac d'Annecy genießen. Eine Tour des deux lacs, eine Zwei-Seen-Runde also. Annecy ist das nächste Zwischenziel, das ,,Venedig der Alpen", wo es aufgrund des Stadtverkehrs wohl heißt, einen Gang zurück zu schalten und stattdessen lieber die herrliche Seepromenade zu genießen. Der Col de la Forclaz führt uns dann hoch über den See hinaus bis fast auf den Gipfel der Tournette, grandioses Panorama erneut inklusive. Den Abschluss des heutigen Pässetrios bildet dann der Collet de Tamié, der dank sehr moderater Steigungsprozente auch mit müden Beinen noch erradelt werden kann. Von der Passhöhe führt uns eine rasante Abfahrt auf einsamer Straße direkt in den Etappenort Alberville, wo wir im Hotel abends noch eine entspannte Runde durch den Pool ziehen können.
Variante: Da man am ersten Tag vielleicht noch nicht alle Körner verbraten will, können alle drei Pässe auch problemlos im Tal umfahren werden. Am besten lässt man jedoch den Tamié aus und fährt stattdessen im Tal über Ugine - dank gut ausgebautem Radweg fast verkehrsfrei.