Nach dem gestrigen gewittrigen und verregneten Nachmittag und Abend ist für heute gutes und teils sonniges Wetter bis zum frühen Nachmittag angesagt. Wir starten alle gemeinsam, schließlich werden die gleich zum Aufwärmen anstehenden 11,5 km und 750 Hm zum Sellajoch schon für die natürliche Selektion sorgen. Es ist schattig, die Sonne traut sich noch nicht so recht hinter den Wolken hervorzukommen. Morgenstimmung. Der Verkehr ist aber dennoch schon beachtlich, nimmt aber mit Abbiegen von der Pordoistraße in die eigentliche Sellastraße zunächst deutlich ab. Bis auf die letzten Kilometer bin ich alleine unterwegs. Die schroffen Gipfel und markanten Felstürme der Sellagruppe bilden eine eindrucksvolle Kulisse. Ich bin zum ersten Mal hier und sichtlich beeindruckt. Johannes aus der sportiven Gruppe schließt sich uns, der ausdauernden Gruppe, an.
Die Abfahrt ist kurz und kühl, dann biegen wir in die ebenso kurze Auffahrt zum Grödnerjoch ab. Nun hat sich die Sonne gegen die Wolken durchgesetzt und der kurze Wupper wird zum phänomenalen Erlebnis. Die Kamera glüht. Fast alle fotografieren fleißig, selbst Pinocchio. Oben ist Eile geboten. Schnell noch vor dem Bus in die Abfahrt stürzen. Die macht dann auch, abgesehen von einer roten Ampel, richtig Spaß.
In Corvara trennen wir uns von den Campolongo-Fahrern, die die kurze, klassische Sellaronda fahren und damit belohnt werden, nicht nass zu werden. Beim Flaschenauffüllen an einem Supermarkt bemerkt unser Berliner Sven seinen völlig runtergefahrenen, sich in der Auflösung befindlichen Reifen. Glücklicherweise gibt es im Ort einen Radladen, sodass der Conti-Pneu im Guiderucksack bleiben und auf seinen Einsatz warten kann. Dann jedoch nimmt das Drama seinen Lauf. Der Reifen ist schnell gewechselt, sogar Mavic haben sie vorrätig (fortan ist der Berliner der Mavic-Sven - wir haben ja noch einen aus der Hinterpfalz in der Truppe), doch plötzlich sitzt das Schaltauge nicht mehr an seinem Platz. Die Schrauben fehlen, haben es wohl auch schon vorher. Da Canyon, hat sie auch niemand vorrätig (auch nicht der Laden gegenüber unseres Hotels in Canazei), aber es hält auch ohne, solange das Hinterrad nicht mehr raus muss. Einen Platten hat Sven auf der restlichen Tour zum Glück nicht mehr.
Jetzt mit Vollgas in den Valparola rein. Rundherum zieht es sich zu, doch wir bleiben trocken. Für mich der eindrücklichste Pass des Tages mit seinen phantastischen Ausblicken, schroffen Felsen und Gesteinstrümmern. Auch hat es hier deutlich weniger Verkehr als zuvor an Sella und Gardena. Die Abfahrt ist Genuss pur!
Dann reißt die Gruppe auseinander. Ich bin mit Mavic-Sven alleine, wir haben zu lange gebraucht, die warme Windjacke und Armlinge loszuwerden, denn unten ist es warm. Das Unheil bereits vor uns sehend trotzden wir dem Gegenwind und fahren so schnell es geht. Bis Arabba geht alles gut, dann öffnet der Himmel seine Schleusen, es blitzt und donnert. Ein mulmiges Gefühl. Unter einer Brücke halte ich, wie viele andere auch, was sich hinterher herausstellte, ziehe alles an, was ich habe, denn mir ist im strömenden Regen und frischen Gegenwind saukalt.
Mavic-Sven zieht weiter. In den oberen Kehren hört der Regen auf. Ich hole die Kamera aus dem Rucksack, um doch noch ein paar Fotos vom Pordoi zu machen. In der nassen Abfahrt fahre ich tatsächlich noch auf Sven auf, gemeinsam geht es in Canazei in den Radladen. Vorsichtshalber besorge auch ich mir neue Bremsbeläge, die doch schon ganz schön gelitten haben, zumal ich mich die Hälfte der sehr kurvigen Pordoi-Abfahrt hinter einem übervorsichtigen italienischen Autofahrer hinunterquäle.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung:
Was wären die Dolomiten ohne die Sella Ronda, die klassische Sellarunde rund um den Sellastock. Wir entscheiden uns heute für eine ,,extended"-Version dieser Runde, und starten von Canazei aus direkt mit dem langen Anstieg zum Sellajoch. Nach einer kurzen Abfahrt ist das Grödnerjoch als Pass Nummer zwei dann keine allzu große Herausforderung, es heißt aber natürlich auch mit den Kräften so gut wie möglich haushalten. Die Abfahrt führt uns über Corvara - wo wir über den Passo di Campolongo auf die klassische Sellarunde abkürzen könnten - bis nach Stern, wo der lange Anstieg zum Passo di Valparola ansteht. Und den Passo di Falzarego bekommen wir mit einer kurzen Abfahrt gratis dazu. Es geht nun ins Tal hinab, wo zwischen Cernadoi und Arabba das einzig nenneswerte Flachstück des Tages kommt. Eine gute Gelegenheit vielleicht, nochmal die letzten Kräfte zu sammeln, für den finalen Anstieg, den Passo di Pordoi, der uns wieder nach Canazei zurück führt.
Varianten: Der Passo Campolongo, Teil der klassischen Sellarunde, fehlt auf der extended-Version. Man kann ihn optional noch aus Stichstraße fahren und 12 km / 400 Hm zusätzlich gewinnen. Wer stattdessen lieber eine Art Ruhetag genießen möchte, fährt die klassische Sellarunde und kommt auf insgesamt 61 km / 2000 Hm.