Den bisher heißesten Tag des Jahres lassen wir bei lauen Temperaturen und Erdbeeren mit Vanilleeis und Sahne auf der Hotelterasse ausklingen. Fünf Vogesenanstiege liegen hinter uns, darunter einer der schönsten überhaupt mit herrlichen Ausblicken in die Rheinebene und ins Munstertal, die Begegnung mit einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, die Befahrung des nördlichen Abschnitts der Route des Crêtes und eine rasante Abfahrt hinunter vom Col de la Schlucht. Der Tag hatte wirklich alles, was das Radfahrerherz begehrt. Für einige sogar mehr.
Schon am Start in Wintzfelden drückt die Sonne, und wir sind froh, als wir uns pünktlich um neun aufs Rad begeben, um uns ein wenig Wind um die Nase wehen zu lassen. Den ersten Anstieg kennen wir schon zur Hälfte, denn die ersten Kilometer zum Firstplan decken sich mit denen zum Hundsplan von gestern.
Die Passhöhe im Wald ist schnell erreicht, und wir stürzen uns in die Abfahrt hinunter ins Krebsbachtal. Der hier erwartete Flow will nicht recht aufkommen. Rollsplit bremst unseren Abfahrtsdrang. Im Tal halten wir uns links Richtung Wasserbourg und fahren in die steile und wunderschöne Auffahrt zum Petit Ballon ein. Diese hat es richtig in sich, aber spätestens, als der Wald zurück tritt und uns in die Almenlandschaft rund um die Passhöhe entlässt, sind alle Strapazen vergessen, und die Beschäftigung mit den schmerzenden Waden macht der Bewunderung des Vogesenpanoramas Platz, das hier vom Munstertal in die eine Richtung bis in die Rheinebene in der anderen reicht. Herrlich! Fast wie die Alpen, nur schöner und einsamer.
Die Abfahrt nach Munster ist schnell und nur von vier Kehren gehemmt, ein zweiter guter Grund, den Petit Ballon vorzuschalten und nicht wie geplant am Ende der Tour anzuhängen. Kurzer Wasserstopp in Sondernach – alle Vorräte sind leer. In Munster verfahren wir uns ein wenig, finden aber recht schnell den Weg zurück auf den Track. Wir heißt hier wohlgemerkt die schnelle Gruppe. Die Schleife schenkt uns immerhin eine Befahrung des historischen Stadtkerns von Munster. Trotzdem werden keine Störche gesichtet, vor allem wohl, weil der leitende Guide mangels Bildung nicht darauf hinweist. Das machen die Guides der nachfolgenden Gruppe erheblich besser, deren Schlenker so weit das Munstertal herab führt, dass eine Einkehr zurück in Menster unausweichlich erscheint, um die gebeutelte Moral nach 14 Km Umweg wieder aufzurichten. Die Moral von der Geschicht: Vergiss die Tücke von Achten nicht.
Dessen unbewusst strebt Gruppe eins wieder gen Berg. Diesmal: Richtung Le Linge, wo sich die deutschen und französischen Truppen im ersten Weltkrieg einen erbitterten Stellungskrieg lieferten. Bevor wir die bedrückenden Soldatenfriedhöfe und Stellungen auf uns wirken lassen, genießen wir allerdings die herrlichen Ausblicke auf das Munstertal unter uns. Oben gibt es keine Möglichkeit, Wasser aufzufüllen, nur Horden von Fliegen. Unsere Wasservorräte neigen sich wieder empfindlich, das Thermometer zeigt mittlerweile 32 Grad im Schatten.
An der Ferme de Schoultzbach biegen wir links Richtung Col du Calvaire ein. Rechter Hand entdecken wir glücklicherweise einen Brunnen mit Quellwasser, einladend mit Wanderer- und Radfahrer-Reliefs garniert. Die Temperatur fordert immer mehr Tribut, mit zwar vollen Trinkflaschen, aber immer leereren Akkus, und so fahren wir gemeinsam mit gedrosselter Kraft dem Calvaire entgegen. Nur Stefan drückt und drückt unbeirrt gen Pass. Der Versuchung, am Lac de Blanc nach Passieren der 2.000 Hm-Marke in das erste Restaurant einzufallen, können wir gerade noch widerstehen. Eine gute Entscheidung, können wir uns dadurch doch am Col de Calvaire gerade noch zur Gruppe drei gesellen, die sich erstmal über unseren Zustand lustig macht, der alles, nur keine Souveränität ausstrahlt. "Da kommen die Spaßbefreiten."
75 Minuten, neun Spaghetti Bolognese, drei Tartes d'Oignons und zwei Baguettes des Paysanne später kehrt langsam die Farbe in unsere Gesichter und damit der Spaß in die Gruppe zurück.
Es folgt die wunderbare Passage über die Route des Crête zum Col de la Schlucht, die rasante Abfahrt hinunter ins Munstertal und die flüssige, aber nicht ganz sanfte Auffahrt auf den Col du Firstplan. Hier büßt Gruppe drei einen Teil der am Col du Calvaire auf sich geladenen Schuld, indem das Gruppetto als Mohrrübe vor den Eseln unserer Gruppe erscheint und gen Pass zieht.
Glutofenhitze empfängt uns nach Verlassen des Waldes, das Schmutzbier haben wir uns heute Abend redlich verdient. Halleluja!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Die längere Variante verläuft überwiegend identisch. Erst bei der erneuten Ankunft in Munster entscheiden wir uns hier für den Abzweig zum Petit Ballon - wenn man so will dem kleinen Bruder des Grand Ballon, der am folgenden Tag auf uns wartet. Auf seiner schmalen und einsamen Straße sollte er aber nicht unterschätzt werden, bietet er doch beispielhaft das typische Flair ruhiger Vogesenpässe.
Nach der Abfahrt ins Munstertal ist der Rückweg über den Col du Firstplan wieder mit Variante A identisch.