Fernfahrt Nizza-Wien

Mit Blick aufs Mittelmeer starten wir an der Strandpromenade von Saint-Laurent-du-Var bei Nizza. Und beginnen unsere Fernfahrt entlang der Alpen mit einem Anstieg von null auf 2800 m Höhe. Von Meereshöhe geht es die Täler hinauf bis zur 2802 m hohen Cime de la Bonette. Auf dem breit ausgebauten Radweg können wir für etwa 23 km größtenteils ohne Autoverkehr das Var-Tal als Einflugschneise in die Alpen nutzen, dann verengt sich das Tal schluchtartig, und wir folgen der Route entlang der Tinée, die erst felsig-schroff, dann alpin-lieblich wird. Zur Mittagspause in Saint-Etienne-de-Tinée haben wir bereits 85 km zurückgelegt. Doch dann geht es erst richtig los - hier beginnt die Passstraße zum Col de la Bonette auf 2715 m Höhe, und somit bereits einer der höchsten Alpenpässe. Doch wir setzen noch einen drauf und durchbrechen die 2800-Meter-Marke auf der Panoramaschleife zur Cime de la Bonette, wo uns, fast nur einen Steinwurf von der Küste entfernt, die majestätischen Hochalpen des Mercantour zu Füßen liegen. Ein hartes Stück Arbeit, das sich lohnt. Und belohnt wird mit einer rasanten Abfahrt nach Jausiers.

In Jausiers befinden wir uns in der Haute-Provence, trotz der umgebenden Dreitausender-Alpengipfel noch immer im Süden Frankreichs. Mit der heutigen Etappe rücken wir vor in die Hochalpen der Dauphiné. Gleichzeitig sind wir auf der Route des Grandes Alpes angekommen, der berühmten Fernstraße durch die französischen Alpen. Den Auftakt macht heute der Col de Vars, irgendwie das hässliche Entlein der Route des Grandes Alpes, dessen Schicksal es ist, als spektakulärer Pass von noch spektakuläreren umgeben zu sein. Nach der Mittagspause in Guillestre geht es dann auf den Tour-Klassiker Col d'Izoard, über die fantastische Südauffahrt durch die Felswüste der Casse Déserte. Die Etappe endet in der schönen Vauban-Stadt Briançon.

Eigentlich ist es nur ein einziger Pass, der heute auf dem Programm steht, aber einer der es in sich hat. Und der aufgrund seiner Tour-de-France-Historie vielleicht prestigeträchtigste französische Alpenpass! Auf dem Weg zum sagenumwobenen Col du Galibier müssen wir jedoch zuerst einmal zum Col du Lautaret fahren, bei gemächlichen Steigungen kein großes Problem. Dann geht es nahtlos weiter bergauf zum Galibier, wo wir mit etwas Glück ein traumhaftes Panorama von der Barre des Ecrins im Süden, dem südlichsten Viertausender der Alpen, bis zum Luftlinie ca. 70 km weit entfernten Montblanc im Norden genießen. Der Col du Télégraphe ist dann ein Vorpass auf der Nordseite des Galibier, aber keine große Herausforderung mehr. Zum Schluss fahren wir ab in die Maurienne, wo wir in Saint-Jean-de-Maurienne unser Quartier aufschlagen.

Wir sind in Savoyen angekommen, der für ihren Käse bekannten Region im Norden der französischen Alpen. Zum Auftakt sind wir noch in der flachen Maurienne unterwegs, doch dann wartet ein weiterer „Großer“ der französischen Alpen. Auch wenn der Col de la Madeleine mit 1993 m Höhe denkbar knapp unter der 2000er-Marke bleibt, ist der Höhenunterschied von ca. 1500 Hm doch beträchtlich. Erneut prangt an der Passhöhe das majestätische Montblanc-Massiv am Horizont. Wir fahren ab ins Isère-Tal und erreichen dann die Olympiastadt Albertville; von dort aus geht es noch die wildromantische Arly-Schlucht hinauf in den Skiort Mégève.

Am fünften Tag verlassen wir Frankreich. Zuvor passieren wir aber noch den höchsten Gipfel der Alpen, den Montblanc oberhalb von Chamonix. Die Etappe beginnt mit der Abfahrt von Mégève nach Saint-Gervais; parallel zur Schnellstraße, die als Zubringer zum Montblanc-Tunnel dient, fahren wir dann auf einer verkehrsarmen Strecke in den bekannten Wintersportort Chamonix. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum Pässedouble aus Col des Montets und Col de la Forclaz. Zwischen den beiden Pässen überqueren wir die Grenze ins Wallis und sind nun in der Schweiz unterwegs. Die lange Abfahrt vom Forclaz nach Martigny führt uns durch malerische Weinberge, und den Rest der Etappe können wir entlang der Rhone bis Sion ausrollen - teils auf Nebenstrecken, teils auf dem Radweg.

Heute braucht die Etappe ein bisschen, bis sie auf Touren kommt. Es geht weiter das Wallis hinauf, was bedeutet, dass der Pass des Tages erst nach 100 Kilometern beginnt. Das Rhonetal ist flach bis Brig, so dass erstmal die Rouleure ihre Qualitäten ausspielen können. Nur einmal weichen wir von der Hauptstraße an den Hang aus, um dem Verkehr zu entgehen, größtenteils bewegen wir uns auf Nebenstraßen oder dem Rhone-Radweg. Hinter Brig müssen wir dann eine Geländestufe ins Oberwallis überwinden. Doch erst in Oberwald geht es dann so richtig los, mit dem von James Bond in Goldfinger berühmt gemachten Furkapass, wo im gleichnamigen Gletscher die Rhone entspringt. Die Etappe endet im Pässemekka der Zentralschweiz, in Andermatt.

Es geht weiter nach Osten. Wir verlassen die Zentralschweiz und gelangen nach Graubünden. Der einzige nennenswerte Anstieg des Tages steht gleich zu Beginn auf dem Programm, und er ist kein allzu schwieriger: der Oberalppass, der uns in die Surselva führt, das Tal des Vorderrhein. Hier geht es dann tendenziell bergab, bis sich das Flusstal hinter Ilanz so zu einer Schlucht verengt, dass wir auf den Hang bei Versam ausweichen müssen und nochmal ein paar Höhenmeter serviert bekommen - dieser wildromantische Abschnitt ist aber definitiv eines der Highlights des Tages. Am Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrein bei Bonaduz fahren wir ein Stück dem Hinterrhein folgend bergauf, bis wir dann dem hübschen Albulatal hinauf in den Etappenort Tiefencastel folgen.

Albula, Engadin, Ofenpass. Durch die Rätischen Alpen. So könnte man im Schnelldurchlauf die Etappe beschreiben. Den Auftakt macht also der Albulapass, lang und recht unrhythmisch zu fahren, jedoch mit einer grandiosen Alpenkulisse gesegnet, die durch den imposanten Verlauf der Rhätischen Bahn noch aufgewertet wird. Die Abfahrt ins Hochtal des Engadin ist dann vergleichsweise kurz, und wir folgen dem Tal für einige Kilometer bis Zernez. Dann fehlt nur noch der zweigeteilte Anstieg zum Ofenpass im Schweizerischen Nationalpark. Zunächst zum Hochpunkt Ova Spin, dann nach kurzer Zwischenabfahrt zum eigentlichen Pass. Wir übernachten heute am Fuß des Ofenpasses in Santa Maria im Münstertal, im östlichsten Zipfel der Schweiz.

Für viele ein absolutes must-have in den Alpen ist die „Königin der Passstraßen“, das Stilfserjoch. Bei Nizza-Wien wählen wir die wohl ungewöhnlichste Auffahrt aufs Stilfserjoch, nämlich über den mit 2503 m höchsten Straßenpass der Schweiz, den Umbrailpass - nur kurz vor der Grenze nach Italien gelegen. Diese Auffahrt hat nicht das Prestige der 48-Kehren-Auffahrt ab Prad, aber sie ist kein bisschen weniger schön. Vielleicht ist es sogar die schönste Variante zum Stilfserjoch, wenn man den Einsamkeits-Faktor berücksichtigt - die Motorradhorden huldigen auch dem Mainstream und tummeln sich lieber auf der Südtiroler Seite. Wie dem auch sei, die 48 Kehren haben wir dann in der Abfahrt ins Südtiroler Vinschgau. Hier halten wir uns größtenteils an den hervorragend ausgebauten Vinschgau-Radweg, der uns auf der zweiten Etappenhälfte dann über Meran nach Bozen führt.

Nach 9 Etappen muss man auch mal die Muskulatur etwas entspannen, die Beine hochlegen, es sich gut gehen lassen. Ein Eis im Stadtzentrum, oder doch ein wenig die Beine locker fahren an einem der Hausberge von Bozen oder entlang der Weinstraße? Oder einfach alles - das entscheidest du. Hier zeigen wir exemplarisch eine Rundtour nach Kohlern, die du individuell fahren kannst, es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten mit deutlich weniger Höhenmetern. Kein Guiding am Ruhetag.

Auf einer Alpen-Komplettdurchquerung dürfen natürlich nicht die ikonischen Dolomiten fehlen, unter allen Regionen der italienischen Alpen wohl die mit Abstand berühmteste, dank ihrer charakteristischen felsigen Berggipfel. Wir bleiben zunächst jedoch im Tal, folgen der Eisack auf dem gut ausgebauten Brenner-Radweg ohne Autoverkehr talaufwärts für etwa 20 Kilometer bis Waidbruck, wo dann der lange Anstieg zum Grödnerjoch beginnt. Rechts von uns prangt der imposante Sellastock, wir jedoch fahren ab ins Val Badia und dann gleich wieder hinauf zum Passo di Valparola, ebenfalls von imposanten Felswänden umgeben. Und von diesem hinab in den bekannten Wintersportort Cortina d'Ampezzo.

Das vierte Land unserer Reise erreichen wir auf der elften Etappe, die uns bis an den Fuß des Großglockner, des höchsten Berg Österreichs, führt. Am Morgen geht es von Cortina in den Passo Tre Croci, der eher Mitelgebirgs- als Hochgebirgsatmoshäre hat, uns aber zum malerisch gelegenen Misurinasee unterhalb der bekannten Drei Zinnen führt. Kurz darauf gelangen wir zurück nach Südtirol und erreichen das Pustertal bei Toblach, dem wir bis Lienz folgen. Der Iselsbergpass ist kein allzu großes Hindernis, sollte aber auch nicht unterschätzt werden. So gelangen wir schließlich nach Kärnten und beenden die Etappe in Heiligenblut.

So ein wenig können wir Wien vielleicht schon riechen, doch bevor die letzten beiden Etappen einen gewissen Transitcharakter bekommen, haben wir noch einen letzten großen Alpenpass. Und die Großglockner-Hochalpenstraße ist ja auch alles andere als ein No-Name. Fantastische Ausblicke auf Österreichs höchsten Berg inmitten der alpinen Kulisse der Hohen Tauern erwarten uns. Die lange Abfahrt führt uns ins Salzburger Land, wo wir dem Salzachtal flussaufwärts folgen. Kaum noch wahrnehmbar ist dann die Wagrainer Höhe zwischen dem Salzach- und dem Ennstal, und schon haben wir den Etappenort Altenmarkt erreicht.

Nach fast zwei Wochen durch die Alpen am vorletzten Tag nochmal 190 km? Es ist eine Herausforderung, keine Frage, aber schließlich ruft uns das Ziel in Wien, also machen wir heute mal richtig Strecke entlang der Alpentäler in der Steiermark. Die Höhenmeter jedenfalls halten sich in Grenzen. Die ersten zwei Etappendrittel folgen wir der Enns, und es ist weitgehend flach. Gute Zusammenarbeit ist gefragt, um im Windschatten Kräfte zu sparen. Gesäuse heißt das Gebiet in den Ennstaler Alpen, die wir durchfahren, es ist lieblich bis schroff, irgendwie wildromantisch. Die erste Bergwertung ist die Radstatthöhe bei Kilometer 122 - kurz aber knackig. Dann sind wir im Salzatal angelangt, wo wir mit dem Hals nochmal einen kurzen Anstieg zu bewältigen haben, bevor wir den Etappenort Mariazell erreichen.

Heute geht es nach Wien! Die Etappe ist kürzer als die gestrige, aber dafür auch etwas hügeliger, und wir sammeln hier in den östlichen Ausläufern der Alpen bis hinein in den Wienerwald noch ein paar Passwertungen. Nun heißt es, die Konzentration hochzuhalten, bis wir dann nach 14 Etappen die Räder in Wien abstellen können. Und die gesamten Alpen von Nizza bis Wien durchquert haben!