12.09.2022,
robert89:
Vor einer Woche begann sie, eine ganz besondere quäldich-Reise. Mit Tränen der Wut und Enttäuschung...
Sie kullern bereits nach wenigen Kilometern auf der Schnellstraße zwischen Podgorica und Cetinje durch das Gesicht von Andrea. Sekunden zuvor, ein kurzer, schriller Knall, der so gar nichts Gutes bedeuten konnte: Ein bosnischer Autofahrer träumt und erwischt den Hinterbau von Andreas Rennrad, die am Ende unserer Gruppe fuhr. Die tapfere Andrea steht schnell wieder und scheint mit Kratzern am Körper und Rad, sowie einem großen Schrecken davongekommen zu sein. Unser wichtigster Mann der Reise ist Danilo und in diesem schweren Moment eher zufällig bei uns, weil er gerade vom Hotel zum Pausenpunkt fahren möchte. Er ruft Polizei und Krankenwagen. Danilo, zweimaliger montenegrinischer Meister auf der Straße und im Zeitfahren, ist unser Verpfleger und Gepäckfahrer und sollte am letzten Abend der Reise von Conny zum ,,ambassador of his country" gekürt werden. Aber so weit sind wir in der Geschichte noch nicht. Wir stecken noch im Schlamassel auf der Schnellstraße fest. Danilo klärt und erklärt uns das Prozedere, bevor es einen zweiten heftigen Knall gibt. Mit hoher Geschwindigkeit kracht ein zweites Auto in das bosnische Fahrzeug, das zuvor Andreas Rad touchiert hat. Zwei Autos sind nun reif für den lokalen Abschleppdienst. Einige Zigaretten müssen geraucht werden. Von der Frau des Unfallfahrers und von der Polizei, die mit der Situation jetzt ebenfalls überfordert scheint. Gerichtstermin am folgenden Tag in Podgorica, 300 bis 400 Euro Durchschnittslohn in Bosnien, Versicherung? ,,This is Montenegro, not Germany", entgegnet mir Danilo mehrmals, als ich ungläubig den Termin auf dem Gericht am Folgetag in Frage stelle und nach annehmbaren Lösungen suche. Nach zwei Stunden ist die Sache auf montenegrinisch geklärt. Es ist ein finanzieller Kompromiss, kein guter, aber die einzig praktikable Lösung in der Situation, in der das Rad einen Neuwert hat, was so hoch ist, wie ein durchschnittliches Jahreseinkommen eines normalen Angestellten auf dem Balkan. Alle umarmen sich, jeder kann sich ein Lächeln abringen und die Anspannung fällt ab. Andrea fährt die Etappe im Begleitauto zu Ende. Danilo organisiert in Podgorica noch ein Leihrad für die nächsten Tage für sie. Während 13 Gäste mehr oder weniger auf sich allein gestellt voraus fahren und hoffentlich heil zum Etappenziel radeln, mache ich mich mit Knut, dem Ehemann von Andrea, mit Verspätung auf den Weg nach Kotor. Noch nie habe ich mich so oft auf einer Straße umgeschaut, wie auf der besagten Schnellstraße von Podgorica nach Cetinje, die wir nach dem Abstecher zum wunderschönen Rijeka-Fluss, noch ein zweites Mal befahren müssen. Der Überholabstand der Autos lag manches Mal im Grenzbereich. Als in einem Tunnel von hinten ein Bus heran rauscht, halte ich zur Sicherheit den linken Arm raus, um auf mich aufmerksam zu machen und den Überholabstand zu erhöhen. Wir werden nur angehupt. Ich habe Angst. Um mich, um Knut, und hinterfrage, was wir hier eigentlich tun und für ein sinnloses Risiko eingehen. Rennradfahren in Montenegro, im wilden Balkan - passt das wirklich zusammen?
Wenn ich im Mai nicht schon per Rad durch das wunderschöne Land gefahren wäre, wüsste ich nicht, ob ich weiter so zuversichtlich geblieben wäre. So klammerte ich mich an die positiven Erinnerungen und daran, dass die Reise schon in den vergangenen Jahren super performte und nun am Anfang der Reise, neben dem Unfall, einfach nur ganz viel Pech zusammenkam. Nicht alles Unglück vom ersten Tag sei hier erwähnt. Auch nicht alles an schönen Momenten... Knut und ich erreichten jedenfalls, wie auch alle anderen Gäste, gesund und munter am Nachmittag die malerische Bucht von Kotor. Und auch Andrea umarmte ihren Knut, nach einem Tag im Auto mit Danilo. Vor dem Abendessen blieb für die meisten sogar noch Zeit für einen Besuch der Altstadt von Kotor, die schönste Montenegros.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Gleich am ersten Tag befahren wir nicht nur einen der landschaftlich schönsten Abschnitte des montenegrinischen Straßennetzes, sondern statten auch einem kulturell-historisch bedeutsamen Ort einen Besuch ab: dem Njegos-Mausoleum auf dem Berg Jezerski Vrh. Es handelt sich um die Grabstätte des ehemaligen Fürstbischofs von Montenegro, der nicht nur geistliches und weltliches Oberhaupt des Landes, sondern auch noch dessen bekanntester Dichter ist. Die Etappe führt uns aus der Hauptstadt Podgorica hinaus, und eigentlich sind wir sofort in einem langgezogenen Anstieg, der über den Vorpass Dobrske Selo und die historische Hauptstadt Cetinje auf den Jezerski Vrh führt. Wirklich atemberaubend schön wird es dann, wenn wir die übereinander geschachtelten Serpentinen hinab zur Bucht von Kotor fahren, wo dann auch die Etappe endet.