12.06.2022,
majortom:
Wir sind in den Dolomiten. Es war schon 2016, als Jan und ich den Dolomitengiro mit einer ganzen Reihe anderer neuer Alpen-Reisen aus der Taufe gehoben ware, 2017 war die erste Austragung. Nun hat es bis 2022 gedauert, dass ich auch selbst mit am Start in Bozen stehe, etwas aufgeregter als sonst bei meinen Reiseleiter-Einsätzen, da ich in den letzten Jahren vor allem Zeit in Frankreich verbracht habe und Italien für mich auch immer etwas
terra inkognita ist. Seit 2005, als es Etappenort meiner Tour Avignon-Budapest war, war ich weder mit noch ohne Rad wieder in Bozen oder den Dolomiten. Seit 2017 verfolge ich nun schon die Berichte unserer Dolomiten-Reisen, die meist am Fließband Fotos von schroffen Dolomiten-Gipfeln vor blauem Himmel produzieren, und davor wiederum glückliche Rennradfahrer auf herrlich trassierten Passstraßen. Ich freue mich auf die sieben Etappen, die vor uns liegen!
Auf der Anreise nach Bozen gestern, als ich gerade Fahrdienst am Steuer unseres neuen quäldich-Transporters hatte, fingen meine Mitfahrer Sylvia und Harald plötzlich an, Wettervorhersagen für die komplette Woche zu checken und über Regenwahrscheinlichkeiten zu debattieren. Immer mehr steigerten die beiden sich rein, so dass ich mich schließlich zu einem "Handys weg"-Machtwort genötigt sah. Wie üblich interressieren mit Wettervorhersagen auf Reisen nicht über den folgenden Tag hinaus, und dieser folgende Tag - heute - verheißt strahlenden Sonnenschein und große Hitze. Heute morgen hat sich dies bewahrheitet. Keine (oder fast keine) Wolke am strahlend blauen Himmel, die Berge rund um Bozen leuchten in der Morgensonne. Anfängerfehler: ich habe die keine Sonnencreme mitgebracht, doch Harald hilft mir gerne aus. Vielen Dank! Schon am Morgen ist also klar: das wird heute eine Hitzeschlacht.
Noch angenehm kühl ist es, als wir von unserem Hotel nahe der Messe zunächst durch den südlichen Teil Bozens fahren, dann auf den Brenner-Radweg wechseln und am rauschenden Fluss entlang das Eisack-Tal hinauf fahren. Für etwa 10 Kilometer, dann geht es in den Anstieg zum Kasererbild nahe
Obergummer. Im Schatten des Waldes und des Nordhangs ist von der Hitze zum Glück nicht viel zu spüren. Und trotz des Waldes bekommen wir immer wieder Blicke zurück auf Bozen serviert, das mit jeder Kehre tiefer unter uns liegt. Die Morgeneuphorie ist groß - wir sind in den Dolomiten angekommen.
Etwa 1000 Höhenmeter später sammelt sich meine große Gruppe am Kasererbild, einer Kapelle mitten im Wald. An einem Brunnen mit "Südtiroler Trinkwasser" füllen wir die Bidons wieder auf. Gut so, können wir dann noch mit zwei vollen Flaschen pro Person nach kurzer Abfahrt in den
Passo di Lavaze starten. Für eine Auftaktetappe ist unsere Etappe heute durchaus ambitioniert. Schon bis zur Mittagspause im Val di Fiemme bei Kilometer 60 werden wir über 2000 Höhenmeter absolviert haben.
Zunächst sorgen noch die eng überholenden italienischen Ausflügler in ihren Autos für Schweißperlen auf der Stirn - vielleicht ist es aber auch einfach nur der Kontrast zu null Verkehr nach Obergummer zuvor - dann in der endlos erscheinenden, der Sonne ausgesetzten Geraden im Mittelteil des Passes die konstant 12 bis 13 Prozent Steigung. Ich spüre, wie mein Tritt unrunder wird, Beine und Kopf einen Kampf darüber ausfechten, wer zuerst das Handtuch wirft. Kein Schatten. Die erwartete Hitzeschlacht ist da. Am Ende des Feldes bin ich jedoch mit meinen Problemen nicht alleine, und wir mobilisieren die letzten Kräfte, um es noch zur Passhöhe zu schaffen. War der Pass bislang eher unspektakulär, von den gelegentlichen Ausblicken auf die Dolomiten-Felsformationen des Rosengarten (?) einmal abgesehen, ist das Panorama an der Passhöhe sensationell. Wir sehen nach Westen ist (vermutlich) Ortler-Massiv, im Norden bis zum Alpenhauptkamm, im Westen die schroffen Dolomitengipfel. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber es hat sich gelohnt.
Belohnen dürfen wir uns dafür bei Sylvia, die nach der Abfahrt mit dem quäldich-Bus auf uns wartet und ein gewohnt opulentes Buffet gezaubert hat. Mit Liebe zum Detail: Italienische Flaggen stecken im Käse, und auch die Servietten sind grün-weiß-rot arrangiert. Als ich mein Rad abstelle, werde ich herzlich von jemandem im Guide-Trikot begrüßt. Ich muss zweimal hinschauen, denn es ist @
tortentom, den ich hier natürlich nicht erwarten hätte. Drei quäldich-Toms auf einem Haufen, das hat es auch lange nicht gegeben. Wie sich herausstellt, macht er einen privaten Kurzurlaub mit seiner Freundin in der Gegend und beantragt, uns bis Levico Terme begleiten zu dürfen. Natürlich darf er!
50 Kilometer fehlen noch, und sie sind größtenteils flach. Wir haben zwar Gegendwind im Tal, doch auch wenn die Wechsel-Strategie an der Spitze unseres Feldes bislang noch nicht so ausgefeilt sind, schaffen wir es doch, uns die Arbeit an der Spitze aufzuteilen und so das Tempo hochzuhalten. Der Anstieg nach Sveseri fordert bei der großen Hitze hier im Tal und 15-prozentigen Abschnitten nochmal alles, doch dann können wir das große Blatt auflegen und segeln virtuos ins Ziel nach Levico. Was für eine Auftaktetappe, die großartiges für die kommenden Tage verspricht!
Anmerkung des Autors: @
Jan schreibt ja in seinen Blogs oft mal nur einen rudimentären Text, garniert mit dem Hinweis "Heute müssen die Bilder sprechen". Leider war der Akku der Autoren-Kamera leer (noch ein zweiter Anfängerfehler), weswegen ich heute den Spieß mal umdrehe. Nur ein Symbolbild, heute muss der Text mal sprechen.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Es geht los. Wir verlassen Bozen, umgehen den unangenehmen Tunnel auf der Hauptstraße und nehmen die schöne Nebenstrecke über Obergummer, um letztendlich zum Lavazéjoch zu gelangen. Damit ist der Pässereigen des heutigen und der kommenden Tage eingeläutet. Die Dolomiten mit ihren schroffen Gipfeln heißen uns sogleich willkommen. Die Abfahrt führt uns ins Val di Fiemme, wo wir talaufwärts weiter fahren und nach einem kurzen Zwischenanstieg eine langgezogene Abfahrt in den Etappenort Levico Terme genießen dürfen.