25.04.2022,
majortom:
Die südlichen Provenzalischen Alpen westlich des Var-Tals sind unser Ziel auf der zweiten Etappe unseres Begtrainings in den Seealpen. Heute also streng genommen Bergtraining in den südlichen Provenzalischen Alpen, aber natürlich wollen wir nicht streng sein. Die Charakteristik der beiden Alpenmassive ist ähnlich, in der Haute-Provence sind die Berge ein wenig niedriger, die Flusstäler vielleicht ein wenig tiefer eingeschnitten, die Vegetation in den Höhenlagen noch ein wenig karger. Hier wie dort ist man in hübscher südfranzösischer bis alpiner Kulisse unterwegs und, hat man mal die Küstenzone hinter sich gelassen, fährt in fast völliger Einsamkeit.
In der Küstenzone unterwegs sind wir in etwa bis Vence, wo schon die ersten 200 Höhenmeter überwunden sind. Ein wenig zehrt es schon an den Nerven, zwischen so vielen Autos unterwegs zu sein, doch schon kurz hinter Vence wendet sich das Blatt. In der Auffahrt zum
Col de Vence sind wir fast alleine unterwegs, und die karge Gebirgskulisse vor obligatorischem Meerblick (man könnte fast bis zum Hotelpool winken, wo aber sowieso niemand von uns geblieben ist, alle sind auf dem Rad unterwegs) tut ihr übriges. Wir staunen.
Die Faustregel rund um Nizza: die Passhöhen selbst sind unspektakulär, die tollen Ausblicke hat man kurz davor oder kurz dahinter. Also warten wir nicht lange oben am Col, cruisen über das sich anschließende Plateau, genießen eine rauschende Abfahrt ins Var-Tal und quälen uns in den Gegenanstieg nach Greolières. Hier haben wir schon nach 40 Kilometern eine Mittagspause geplant, was sich früh anführt, aber den Löwenanteil der Höhenmeter haben wir schon hinter uns gebracht. Die sportive Gruppe winkt und schon gut gelaunt von der kleinen Terrasse vor dem Supermarkt zu, und da sie uns tatsächlich noch einiges von den leckeren Quiches und Kuchen übrig gelassen haben, schließen wir uns sogleich mit guter Laune an.
Es geht weiter berauf hinter Greolières, auf einer wunderschönen Höhenstraße oberhalb des Loup-Tals. Tiefblicke, Felstunnel, Berge um uns herum... es macht Spaß, auch wenn bis zu unserem nächsten Zwischenziel, dem Aussichtspunkt vor dem Wintersportort Greolières-les-Neiges nochmal etwa 500 Höhenmeter zu bezwingen sind. Großes Aha-Erlebnis, als wir endlich oben sind: man sieht nicht nur wie angekündigt in die wilde Esteron-Schlucht hinab, am Horizont prangen auch die schneebedeckten Hochalpen des Mercantour. Die Erweiterung der Etappe hat sich also wieder mal gelohnt.
Noch nicht mal die Hälfte der Strecke haben wir, dafür schon über drei Viertel der Höhenmeter. Das spräche eigentlich für eine entspannte Restetappe, doch über das wellige Plateau meist bei Gegenwind sind auch die verbleibenden Höhenmeter hart erkämpft. Immerhin zwei Passschilder bekommen wir geschenkt: der Col de Castellaras und der Col de la Sine. Ebenso wellig geht es weiter durch ein steppenartiges Hochtal zum
Col de l'Êcre. Unvermittelt taucht die Passhöhe von uns auf, wenige hundert Meter später liegt uns dann 1100 Höhenmetertiefer der komplette Küstenabschnitt zwischen Antibes und Nizza zu Füßen. Eine traumhafte Abfahrt.
Die uns zunächst nach Gourdon führt, das, auf einem Felssporn oberhalb der Loup-Schlucht gelegen, als eines der schönsten Dörfer der Provence gilt. Wir können uns lebhaft vorstellen, wie zur Hochsaison hier die Touristen zwischen Souvenir- und Lavendelshops flanieren, um diese Jahreszeit ist es jedoch noch angenehm leer - die Mitglieder der sportiven Gruppe sind auf der Panoramaterrasse bei Kaffee und Kuchen fast die einzigen anderen Gäste. Die Kaffeepause ist mehr als wohlverdient und tut richtig gut.
Und noch ein Highlight bekommen wir in der weiteren Abfahrt serviert: den engen Teil der wildromantischen Loup-Schlucht. Heute kommen wir aus dem Staunen kaum noch heraus. Und auch der abschließende Teil der Etappe weiter das Loup-Tal hinab macht im Rennrad-Flow richtig Spaß. Provenzalische Alpen im Sonnenschein - was für ein Bergtraining!