Nachgeschobener Tagesbericht vom 27. Mai 2017.
Und schon liegt die letzte Etappe von Wien-Berlin vor uns. Wir haben uns in den letzten drei Tagen gegen den Wind Niederösterreichs gestemmt, die Teiche und Wellen des Südböhmischen Hügellandes abgeritten, haben Prag gesehen, sind durch das Böhmische Mittelgebirge und über das Erzgebirge gefahren, haben von dessen Kamm die immer wieder berauschende Aussicht auf das Böhmische Becken genossen, und haben gestern Abend die berühmtesten Sehenswürdigkeiten Dresdens passiert. Was soll man da noch von einer 220 km-Flachetappe durch die Brandenburger Tiefebene erwarten? Dazu hat sich die gestern aufkeimende Hoffnung auf Südwestwind über Nacht verflüchtigt, es ist mit frischen Ostwind zu rechnen.
Damit wir alle um 18 Uhr in Berlin sind, um unseren 20-Uhr-Termin auf dem Berliner Fernsehturm entspannt angehen zu können, fährt Robbies entspannte Gruppe bereits um 8 Uhr und somit eine Stunde früher los als sonst. Da Tobi im Gegensatz zu mir den Weg zum Elbtalradweg kennt, schließen wir Ausdauernden uns der sportiven Gruppe an. Mit herrlichen Rückblicken auf Dresden geht es an der Elbe entlang, und dann über Radebeul aus der Stadt raus in den Landkreis Meißen. Da es gut läuft, und wir uns hinter den Sportiven nicht allzusehr strecken müssen, bleiben wir zunächst an ihnen dran, bis uns im Lößnitzgrund ein uniformierter Blockwart in die Schranken weist. Um 9 begann hier das Programm der Karl-Mai-Festspiele, und wir müssten entweder Tickets kaufen oder außen rum fahren. Hurra, 150 Hm auf Kopfsteinpflaster extra. Tobi lotst uns aber dank seiner Ortskenntnis souverän über die nicht ausgeschilderte Umleitung. Gemeinsam geht es weiter nach und zur Moritzburg, die unter gleißendem Himmel inmitten des Schlossteichs thront.
An der Pinkelpause entscheiden wir gemeinschaftlich, dass wir die Gruppen bis zur Getränkeverpflegung zusammenhalten, was den schönen Nebeneffekt hat, dass wir mit 16 Personen genau die Verbandsstärke erreichen. Bei auffrischenden Winden halten die Lokomotiven die Tachonadel relativ konstant bei 40 km/h. Stille und äußerste Konzentration herrscht im Peloton, während wir durch die Gerstenfelder des Kreises Meißen schneiden, über verkehrsfreie Landstraßen, schmale Kreisstraßen und noch schmalere Wirtschaftswege. Es ist mir eine große Freude, neben Tobi in der ersten Reihe den Wind zu brechen, und insgeheim hoffe ich, dass wir auch in Brandenburg auf meinen Trainingsstrecken noch diese Gelegenheit haben.
Kurz vor der Getränkeverpflegung werden wir von einer fehlenden Brücke im Ort überrascht, die uns einen kleinen Umweg über Schotterwege beschert.
Erstmals im Laufe der Fernfahrt sind meine Flaschen vor der Verpflegung leer, die heute erst nach 68 km wartet. Zudem läuft der Motor heiß und mit der höher steigenden Sonne um die Wette. Passenderweise hat Waterboy Daniel den Getränkesprinter an der Geißlitzbrücke im Schatten geparkt, und passenderweise ist auch der Mechaniker No 1 zugegen, um Jörgs auf den Abwegen aufgeschnittenen Reifen in kürzester Zeit auszutauschen. Bis zur Mittagsverpflegung in Schlieben haben wir jetzt nur 45 km vor uns, und nach eingängiger Beratschlagung entscheiden wir uns, etwas gemäßigter, aber weiterhin in der sportiv-ausdauernden Hybridgruppe weiter zu fahren.
Leider wird unser Vorwärtsdrang in Nauwalde umgehend durch eine drei Kilometer lange Baustelle gehemmt, die unsere Reifen weiter leiden lässt. Und als wir endlich wieder befreit auf Flüsterasphalt durch Schweinfurth fahren, läuft von rechts ein Berner Sennenhund aus dem Hinterhalt eines parkenden Autos in die Gruppe. Bremsen, Schreie, Rufe. Sturz, Sturz! Torsten steht aber schon wieder und hat sich zum Glück nur das Trikot angekratzt und das Lenkerband demoliert. Das hätte schlimm ausgehen können. Wir fotografieren den Ausweis des Hundehalters, vergewissern uns, dass Torsten tatsächlich unversehrt ist und fahren erleichtert weiter.
Das Ortsschild von Oschätzchen weist uns kurz danach darauf hin, dass wir uns nun im Elbe-Elster-Kreis und somit in Brandenburg befinden. Brandenburg ist so hässlich im November und so schön im Mai. Überall blüht es, die Felder stehen im satten grün, es ist herrlich. Wenn auch anstrengend, vor allem rechts in der Zweierreihe, auf der der Ostwind steht.
Kurz hinter Schilda, der Eigenwerbung nach Ursprung der Schildbürgerstreiche, brandet Jubel auf: die Windräder zeigen an, dass der Wind auf Süd gedreht hat! Was leider nur einem Mikroklimaeffekt geschuldet ist, denn der nächste Windpark zeigt wieder den immer stärker blasenden Ostwind an.
Leicht angezählt erreichen wir dann jedoch Schlieben, wo die entspannte Gruppe selig beim Mittagessen sitzt und sich vom Klappern des Storchenpaares neben der Dorfkirche unterhalten lässt. Der Ratskeller macht wie alle anderen Mittagsverpflegungen eine grandiose Arbeit, schnellstens sind die Spaghetti Bolognese auf dem Tisch, Getränke stehen parat und Nachtisch und Kaffee folgen rasant, so dass wir schnell wie nie wiedererstarkt auf den Böcken sitzen. Wir entscheiden uns, noch weiter rauszunehmen und die Etappe gemeinsam zu Ende zu fahren. Wir kommen zügig voran, und die Verbandsrechte werden uns bei der Durchfahrung Berlins beste Dienste erweisen, wenn auf der B96 Richtung Brandenburger Tor eine Ampel auf die andere folgt.
Jetzt wird es landschaftlich sogar richtig schön! Besonders im Fläming hinter Petkus in der Abfahrt nach Stülpe. Wow! Die Definition von Flow. Ich mag diese Strecke schon alleine, aber in der Zweierreihe macht sie einfach nur Laune! Dickes Grinsen allerorten.
Und dann ist bei Kummersdorf-Gut bereits die letzte Getränkeverpflegung erreicht, und kurz darauf in Sperenberg meine Trainingsstrecken. Leider befahren wir sie entgegen der bevorzugten Richtung, so dass wir vor Blankenfelde und im roten Dudel einige Kopfsteinpflasterpassagen ertragen müssen, die die Gruppe gehörig durcheinanderwirbeln. Doch dann erreichen wir endlich den Flüsterasphalt der B96, und, oh Wunder, Berlin ist heute wie ausgestorben. Die vierspurige Straße ist in der Tat fast autofrei, die Ampeln sind natürlich trotzdem nervig, aber hier spielen wir unsere Verbandsrechte aus und erreichen mit einmal Abbiegen ab der Ortseinfahrt (an der SPD-Parteizentrale links in die Stresemannstraße) den Potsdamer Platz und kurz darauf das Brandenburger Tor. Dass wir das aufgrund der Sperrungen anlässlich des Kirchentages von Osten anfahren müssen, fällt nicht weiter ins Gewicht, und schon stehen wir vor dem Tor und machen Gruppenfotos. High Five und gute Laune!
Dann schnell ins Leonardo Royal am Alexanderplatz, Rad abstellen, Duschen, und dann hoch zum Fernsehturm. Wunderbare Aussicht, grandioser Sonnenuntergang, bestes Essen und tosender Applaus der Teilnehmer zum Abschluss einer großartigen Fernfahrt Wien-Berlin. Ich hätte sie mir nicht besser vorstellen können. Danke an alle Teilnehmer, danke an alle Helfer. Es war grandios!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Nun trennt uns nur noch eine Flachetappe von 215 km Länge vom großen Abschlussabend auf dem Berliner Fernsehturm. Wir verlassen Elbflorenz entlang des namensgebenden Flusses, bevor wir uns nach Norden wenden, dem Naturpark Niederlausitzer Heidelandschaft zu. Hier durchfahren wir die Kleinstadt Schilda, die für sich in Anspruch nimmt, Schauplatz der legendären Schildbürgerstreiche zu sein.
Kurz danach erreichen wir die Mark Brandenburg, Trainingsrevier von quäldich-Chef und Reiseleiter Jan, dem es eine Freude sein wird, euch durch seine Heimat zu leiten.
Entgegengesetzt zur Ausfahrtsrichtung bei Berlin-Wien 2016 fahren wir dann nach Berlin ein, durchs Brandenburger Tor und ab zum Alexanderplatz, wo die Abschlussparty auf dem Berliner Fernsehturm steigt!