19.06.2021,
Jan:
«Die Eindrücke dieser Etappe reichen eigentlich für drei», sagt einer meiner Mitstreiter aus Gruppe vier heute, als wir hinter Le Rozier in die Causse Noir auffahren und damit auch noch die Verlängerungsvariante der Königsetppe geschlossen in Angriff nehmen. Ich weiß leider nicht mehr, wer es war – vielleicht Otto, vielleicht Klaus, vielleicht Ulrich, vielleicht Alexander, vielleicht Ulf – aber Recht hat er!
Und dabei hat der Tag alles andere als verheißungsvoll begonnen heute morgen in Mende, als der Regen gegen die Hotelfensterscheibe schlug. Aber René hatte gestern noch behauptet, dass wir nicht nass werden, und so ist die Abkürzungsgruppe, die 90 statt 158 km fahren will, auch nur 7 Personen stark.
Der Rest macht sicht auf in Richtung
Col de Finiels. Die Straßen sind nass, aber es regnet nicht mehr, und so ist Gruppe 4 frohen Mutes, fährt geschlossen und relativ zügig nach oben – nicht zu schnell allerdings für Gespräche über Gott und die Welt in allen möglichen Konstellationen. Uns geht es gut, wir können Rad fahren, in den Cevennen auch noch, Königsetappe! Was stören da die paar Wolken! Aber... in Le Bleymard biegen wir nach Süden ab, genau in die dunklen Regenwolken, die den Col de Finiels umlagern. Und haben ziemliches Glück viel sehen wir nicht von der kargen, ginsterschwangeren Gebirgslandschaft, aber die Atmosphäre ist toll und wir fast trocken. Das ist deutlich besser als befürchtet! Und Helena verprüht oben ihre Herzenswärme, wer braucht da die Sonne?
In der Abfahrt klart es immer weiter auf, die Wolken brechen auf, die Sonne durch, und bald riechen wir den Süden in der nicht enden wollenden Abfahrt in Richtung Gorge du Tarn, Alexander sieht Steineichen, wir hören Zikaden, es wird heiß – wir sind in Südfrankreich!
Und einige Fotostopps an der Gorge du Tarn und eine Geschichtsstunde bei Ulrich über die Sünden des mittelalterlichen Landadels reiten wir in St-Enemie ein, wo Volker frische Erdbeeren serviert. Der Bürgermeister ist uns nicht recht wohlgesonnen, Volker wird aber in der letzten Ecke des Parkplatzes geduldet. Wir sollten wohl lieber in die Gastronomie einkehren, findet der Bürgermeister. Stattdessen halten wir unsere Füße in den Tarn und schieben die Weiterfahrt getrost vor uns her. Gefühlt sind wir eh schon am Ziel in Millau.
Die weitere Fahrt durch die Gorge du Tarn wird tatsächlich eher noch spektakulärer. In La Malène biegen wir nach links ab und tauschen ein Spektakel gegen das nächste: die Schlucht gegen das Serpentinenmassaker der
Lacets de La Malène, die sich hier über 360 Hm auf vier Km in die Höhe schrauben. Das ist ganz anspruchsvoll und geht angesichts der grandiosen Straßenführung doch irgendwie von alleine.
Die oben anschließenden Blumenwiesen der Causse Méjean erinnern mich an die Campi Fioriti im Apennin. Die 6 Kilometer bis zur zweiten Getränkeverpflegung ziehen sich doch länger als ich dem Papier angesehen habe... Gruppen 1 und 2 fahren gerade ab, als wir He erreichen, und wir halten uns auch nicht lange auf, weil wir doch noch einen Café in Le Rozier trinken wollen. Die Abfahrt hinunter in den Canyon de Jonte ist wunderbar. Auch Volker treffen wir hier nochmals, der sich das Spektakel auch noch genauer ansehen möchte. Unten im Canyon bin ich mir nicht sicher, ob er nicht vielleicht spektakulärer ist als die Gorge du Tarn. Auf jeden Fall kommt diese Schlucht mit den massiven Felsformationen rechts und links absolut unverhofft. Ebenso wie die Geier, die in Scharen über uns kreisen.
Vor Le Rozier müssen wir noch einen kleinen Schluchtpass wegdrücken, aber dann sitzen wir schon am Tarn und werden von einer reizenden Nordfranzösin mit fantastischem Double Expresso und spanischer Musik versorgt. Solcherart angeregt biegt die gesamte Gruppe 4 auf die Verlängerungsoption über die Causse Noir ein, wohl verstärkt von Dörte, Torsten und Hans Joachim, die sich noch aus Gruppe 3 anschließen. René hatte uns nicht mehr an der letzten Verpflegung angetroffen, und wir hatten uns telefonisch auf die Gruppenvereinigung beim Café geeinigt. So kann jeder fahren, was er will. Wunderbares Timing!
Und so sehen wir auch noch die einsame Causse Noir, und, Ziel der Übung, die Autobahnbrücke von Millau, die erste Autobahnbrücke, die auf quäldich-Reisen als Motivationselement herhalten konnte. Gelohnt hat es sich allemal.
Was für eine epische Etappe durch die Cevennen!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Die wilden Cevennen sind ein absolutes Highlight unserer Grand Tour, für die wir die eigentlich kurze Distanz zwischen Mende und Millau auf Königsetappendistanz aufbauschen. Aber spätestens wenn am 1541 m hohen Col de Finiels im Lozère-Massiv traumhafte Fernsicht über das Gebirge genießen, wissen wir, warum wir den Umweg auf uns nehmen. Und wenn dann mit der Abfahrt die wunderschöne Tarn-Schlucht erreicht wird, und wir den atemberaubenden Serpentinenhang von La Malène erklimmen, sollte jedem klar werden, dass sich jeder Kilometer gelohnt hat. Von der Hochfläche Causse Méjean fahren wir zurück ins Tarn-Tal und rollen dann in Millau ein. Und werden feststellen, dass wir eine unsichtbare Grenze überschritten haben... wir sind im Languedoc angekommen und haben den Süden Frankreichs erreicht, und auch das raue Klima des Zentralmassivs ist einem südländischen Flair gewichen.