17.06.2021,
Jan:
Nach einer wunderbar einsamen Etappe durch das Velay, wie die Vulkanlandschaft rund um Puy heißt, haben wir nun schon die Hälfte auf unserem Weg nach Barcelona zurück gelegt. Noch sind wir im Zentralmassiv, morgen wartet unsere Königsetappe durch die Cevennen, und durchfahren die Port du Soleil, die Pforte nach Südfrankreich!
Aber heute haben wir erstmal kennen gelernt, wie kühl es im Zentralmassiv werden kann, auch wenn ringsum die Sommer brennt. Haut und Körper waren dankbar über die geschlossene Wolkendecke, die uns heute morgen in Puy-en-Velay empfängt. Ein kleiner Haufen trifft sich schon um viertel nach acht vor dem Hotel, um noch einen explorativen Track zur Madonna von Puy auszuprobieren, der uns über die Basaltkopfsteinpflasterrampe zur Kathedrale, um sie herum und zu den Füßen der Madonna führen soll. Und auch führt. Ich hatte mich auf eine Enttäuschung eingestellt, aber die 800 Hdm waren doch lustig und kurzweilig.
Dennoch gerate ich kurz in Stress wegen Volkers hartem Abfahrtsregiment. Um 8.52 Uhr ist mein Koffer im Auto – das ist nochmal gut gegangen!
Beim Start habe ich das Tagesprofil klar vor meinen Augen: drei sanfte Anstiege und eine kurze Etappe mit 117 km und 2400 Hm, das drücken wir heute ganz schnell weg in Gruppe 2 – ich bin wieder Markus' Hilfsguide. Und tatsächlich sind die ersten 22 Kilometer hauptsächlich ein großer Genuss. Die Steigung ist sanft, die Vulkankegel des Velay liegen unter uns wie gemalt, und schon sehen wir He an der Passhöhe des
Col de Peyra Taillade, markieren in aller Ruhe das Revier und freuen uns auf das Kommende, denn die Blicke nach vorne verheißen Bestes: ein tief eingeschnittenes Tal zeigt sich am Horizont, die Allier-Schlucht, aus der die furchteinflößendste Rampe der Region hier hoch führt: das absolute Gegenprogramm zur von uns gewählten Rollerseite. Romain Bardet hatte hier 2017 Chris Froome herausgefordert, wenn auch vergeblich.
Wir bremsen uns in aller Seelenruhe die miese Rampe herunter. Wenn ich bessere Beine und nicht so viel Rundfahrt schon hinter uns und noch vor uns hätte, hätte ich hier vielleicht noch gezuckt, aber so warte ich lieber auf der malerischen Brücke über die Allier auf Markus, der den letzten Mann in der Abfahrt macht. Imposant steht hier die senkrecht gefaltete Felswand hunderte Meter in die Höhe.
Und nun stellt sich heraus, dass all diese Gedanken an den heutigen Ruhetag vor allem eins sind: eine Bildungslücke. Denn die drei sanften Anstiege stellen sich als zwei sanfte Anstiege und ein ganz dickes Brett heraus.
Die Rampe, die uns wieder aus der Allierschlucht hinaus führt, ist nicht minder steil als die, die wir gerade herunter gekommen sind (und die in Gruppe 4 auch prompt einen Bremsplatten verursacht hat). Hier war wohl der Wunsch Vater des Gedanken! Ich quetsche Markus hinterher was geht, aber trotz 1400 Höhenmeter pro Stunde Steigleistung enteilt er mir. Ich übe mich in Demut und lecke im weiteren Etappenverlauf nur noch die hier geschlagenen Wunden.
Nee, erstmal lecke ich mir die Lippen nach der nun folgenden Abfahrt, die sich auf gut zweispurig ausgebauter Straße rasant gestaltet. Glücklicherweise hat Tom den Abzweig im Track markiert, sonst wären wir wohl alle im Geschwindigkeitsrausch vorbei geschossen. Ab dem Abzweig folgen wir dem Bachbett der L'Ance bis zur Mittagsverpflegung. So oder ähnlich stelle ich mir das schottische Hochland vor. Und tatsächlich bewegen wir uns hier stets über 1100 m Höhe.
Erstmals trinke ich etwas Cola an der Verpflegung. Bisher haben immer Volkers fantastische Stullen gereicht, und was es sonst noch gab. Heutiges Special: Pastete! Dann aber schnell weiter, die 56 km sind für mich eher Pflicht als Vorfreude – ungewöhnlich! Die Auffahrt auf den
Col de la Croix de Bor könnte sanfter kaum sein, aber der Gegenwind setzt uns kräftig zu, als kleine wohlverdiente Rache für die Anfangstage. Das Kreuz sehen wir oben nicht, weder aus Bor, noch aus Holz, aber die Abfahrt tut gut. 3 % Abfahrt bei Gegenwind ist einfach besser als 3 % Auffahrt bei Gegenwind, wo wir eben der Ance folgten, folgen wir nun der Truyère. Wir erreichen den kleinen Weiler La Villedieu, der verlassen wirkt, und den Eindruck verstärkt, als sei diese Region aufgelassen. Für mich als pandemiegebeutelter Großstadtmensch eine Labsal, für die Einheimischen sicher eine Herausforderung. Hausaufgabe: welche zweite Sprache wird hier an den Ortsschildern angeschlagen?
Eine kleine Rampe führt uns aus dem Truyère-Tal hinaus und über den Col de la Croix de Beton ins Tal der Taronne, wo wir – oh Wunder – tatächlich auf eine verkehrsreiche Straße treffen. Die wir mit einem kleinen Gegenanstieg über den
Col de Chauvets umgehen. Stolz verkündet das Département, dass man in diese Straße investiere, mit einer Aufsplittung natürlich, der nachhaltigsten Instandhaltungsmaßnahme aller Zeiten. Mir wäre die Investition in ein Passschild lieber gewesen. In der Abfahrt hält uns noch ein Kettenwickler mit Doppelverknotung auf, den Markus in Rekordzeit behebt, bevor wir das Etappenziel Mende erreichen – einmal vor Volker, einmal vor dem Gepäck.
Das gibt uns nach einer sehr kurzen Etappe etwas mehr Zeit auszuruhen. Das Abendessen wird rasant serviert, es gibt hiesige Saucisson mit Aligot (im Wesentlichen Kartoffelbrei mit Cantal-Käse), ein von mir und Tom ausgehecktes Experiment, das auf geteiltes, aber vornehmlich positives Echo stößt. Ich notiere: die doppelte Menge Aligot plus Salat ist die optimale Sporternährung zu Mende!
Schön war's! Und morgen warten die Cevennen!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Eine verhältnismäßig kurze Grand-Tour-Etappe, aber in den Bergen des Velay dennoch kein Zuckerschlecken. Wir verlassen Le Puy und das Loire-Tal und erklimmen mit sanfter Steigung das Plateau zwischen den Flüssen Loire und Allier. Begleitet von traumhaften Aussichten stürzen wir uns auf steiler Abfahrt vom Col de Peyra Taillade in die Allier-Schlucht, nur um auf ebenso steiler Straße wieder empor zu klettern nach Les Hers. Auf der zweiten Etappenhälfte wird es etwas angenehmer: entlang des Flusses Ance gewinnen wir langsam aber sicher Höhe bis zum 1416 m hohen Col de la Croix de Bor in einer kargen Hochmoorlandschaft. Nach dem Schlussanstieg zum Col de Chauvets geht es hinab ins Lot-Tal in den Etappenort Mende.