05.09.2024,
H11i:
Diese Nacht teilen sich zwei Radfahrgruppen das Hotel, was am Morgen im Frühstücksraum zu einem erhöhten Aufkommen von hungrigen Leuten mit sich bringt. Innert Kürze sind alle Tische besetzt, Geschirr und Besteck aufgebraucht, Bananen gibt es keine mehr und wie üblich der (noch längere) Stau an der Kaffeemaschine. Die zwei völlig überlasteten Serviceangestellten haben nicht den Hauch einer Chance, so vielen Nachfragen und Forderungen der Gäste gerecht zu werden. Nach 45min ist der Schreck vorbei.
Guten Mutes treten wir vor die Tür, die Vorhersage hält ein, was sie verspricht: kühl, leicht bedeckt, trocken. Die Wolkenschwaden hängen tief und es bleibt wie gestern bei der Herbstradmode. Meine ist noch leicht feucht.
Während die letzten Bremsenchecks gemacht und Ketten poliert werden, wird dazu das Gepäck in den Bus eingeladen. Da heute seitliche Schiebetür ihren Dienst verweigert, passiert dies durch die Hecktüre.
Die 5. Etappe zeigt sich in den Zahlen – im Vergleich zu gestern – zahm, quasi ein Ruhetag. 20km leicht bergab nach Saint-Bèat. Die Strasse noch nass und dreckig, sind die Räder und die nackten Beine nach 10min gesprickelt mit braun-schwarzen Klecksen. In Kombination mit der aufgetragenen Sonnencreme, die wie ein Superkleber wirkt, lässt sich der Dreck kaum mehr abwaschen.
Alle sind heiss auf den Col de Menté, 9km und 850 Hm. Nicht ganz ohne, wenn man bedenkt, dass vier Etappen hinter uns liegen und heute noch zwei weitere Anstiege auf dem Programm stehen. In der Auffahrt liegt in einigen Kurven ordentlich Öl auf der Strasse, was uns dementsprechend vorsichtig abfahren lässt. Trotzdem wird das erste Sturzopfer gefordert. Zum Glück ohne schlimmere Folgen als einem Riss in der Regenjacke und einer Prellung, welche im weitern Verlauf des Tages vor allem das Aufsitzen aufs Rad erschwert. Radfahren geht!
Die Strasse zum Col de Portet d’Aspet führt am Denkmal für Fabio Casartelli (tödlich verunfallt an der Tour de France 1995) vorbei, schlängelt sich steil bergauf durch einen an Jurassic World erinnernden Wald. Viel Moos und Farn. Beim Passschild werde ich gerügt, an der Gedenkstätte keine Schweigeminute eingelegt zu haben.
An der Mittagsverpflegung klemmt die Schiebetür nach wie vor, Tagesrucksäcke werden durchs Heck ausgegeben. Zeitweise lugt die Sonne hinter den Wolken hervor, kitzelt an unsere Nasen. Wage Erinnerungen an ein fast verloren geganges Gefühl werden geweckt, Wärme.
Die zweite Abfahrt fordert das zweite Sturzopfer, Rollsplit. Die Schutzengel sind auch dieses Mal auf der Seite des Radfahrers und lassen ihn sanft in einem Brombeerstrauch landen. Das Rad hat weniger Glück: Ein verschobener Lenkergriff und ein platter Hinterreifen verhindern die Weiterfahrt. Zu Andreas gesellt sich ein Beifahrer.
Km 63 ist der Kilometer der Entscheidung, A- oder B-Variante? Col de la Core ja oder nein? Ja, nein, beide Regelplanungen werden in Anspruch genommen.
Ts Angriff gleich zu Beginn des 14,5km langen Berges mit 850 Hm kann nicht gekontert werden. Zu explosiv die Attacke, zu gross die Überraschung. Lange Zeit ausser Sichtweite für die Verfolgergruppe, verringert sich der Abstand nach 7km kontinuierlich. Die drei Mann starke Gruppe taktiert, mit der gleichen Leistung weiterfahren, nicht zu früh einholen. S schliesst die Lücke 3km vor der Passhöhe, zu Ts Unmut. Die Verfolgergruppe wird zur führenden Gruppe und macht die verbleibenden Bergpunkte unter sich aus.
Abfahrt nach Seix, wo sich Ts Laune bei Pommes Frites, «burger d’un autre monde» und einem Kaffee aus dem Foodtruck auf dem Dorfplatz wieder hebt. 1km Verdauungsfahrt nach Oust.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Und weiter geht der Pässereigen, zwei weitere Klassiker können wir heute dem persönlichen Palmarès hinzu fügen. Etwas Schonfrist verschafft uns die flache Auftaktpassage zwischen dem Etappenort Luchon und Saint-Béat, dann macht der Col de Menté den Auftakt. Und weiter geht res mit der steilen Westrampe zum Col de Portet d'Aspet, wo einst Fabio Casartelli in der Abfahrt tödlich verunglückte. Die Abfahrt geht in eine weitere tendenziell bergab verlaufende Rollerpassage bis Saint-Girons über, dann geht es noch ein Stück das Salat-Tal hinauf bis in den Etappenort Oust.