29.08.2022,
majortom:
Heute auf dem Programm: Transpyrené. Transalp kann jeder. Wir überqueren heute den Pyrenäenhauptkamm und fahren so auf dessen Südseite nach Spanien. Genauer: nach Aragon. Dass das etwas besonderes darstellt, wird mir schändlicherweise erst dann klar, als wir auf die Berge zu halten. Es gibt gar nicht so viele Pässe, die die Pyrenäen überqueren, und meines Wissens ist der
Port d'Envalira bislang der einzige, den ich schon gefahren bin, bei den Pyrenäen-Klassikern 2015. Lange ist es her.
Der
Col du Pourtalet, den wir heute fahren, ist seit letztem Jahr ins Programm der Pyrenäen-Geheimtipps gerutscht, um den Aragnouet-Bielsa-Tunnel zu umgehen. Damals war es eine Reißbrettplanung und als notwendiges Übel deklariert; nach dem Feedback von @
thomsen79 aus 2021 wissen wir, dass auch er eine Perle der Pyrenäen sein soll. Dementsprechend hoch habe ich die Erwartungen heute geschraubt.
Die Etappe beginnt ganz zahm, als wir das nach zwei Tagen lieb gewonnene Hotel in Lourdes verlassen - auf ein (kurzes) Wiedersehen am kommenden Samstag. Wir wenden und von Lourdes aus in westlicher Richtung und folgen für entspannte 20 Kilometer dem lieblichen Tal der Gave de Gavarnie. Dann folgt das Rübergrätschen von einem Gave-Tal ins nächste, was sich doch welliger darstellt als aus dem Profil ersichtlich. Aber auf der kaum befahrenen französischen Landstraße macht selbst das Spaß, zumal sich die Gewitterwolken im Pyrenäenvorland anstauen und in Richtung der Berge kaum eine Wolke am Himmel zu sehen ist. Ungewöhnlich für diese Region, aber es spielt uns natürlich in die Karten. Schließlich wenden wir uns nach Süden, im Vallée d'Ossau angekommen. Die Nebenstrecke auf der von uns aus gesehen linken Talseite ist zwar etwas holprig, aber irgendwie auch idyllisch und hübsch, und so dauert es nicht lange, bis wir in Laruns (die Schreibweise Laruntz auf okzitanisch oder béarnesisch gefällt mir irgendwie besser) auf dem zentralen Parkplatz des Ortes bei Thomas einkehren. Eine Mittagspause nach der Hälfte der Streckenkilometer, aber natürlich erst nach einem Bruchteil der Höhenmeter des Tages. Nichtsdestotrotz werden wir abermals sowohl herzlich als auch herzhaft versorgt und können den Pass des Tages gestärkt angehen.
Der Col de Pourtalet bedeutet: 1300 Höhenmeter auf 28 km. Was nach nicht so viel klingt, zumindest nach Rollerberg, aber 28 Kilometer Anstieg können ganz schön zäh sein. Dennoch ist die Euphorie groß in der entspannten Gruppe. Was vielleicht auch daran liegt, dass das enge Gave-Tal im untersten Bereich des Passes schonmal ein landschaftliches Highlight ist. Irgendwie plätschert der Pass dann so dahin. Immer weiter geht es das Tal hinauf, durch dichten Wald in felsigem Gelände, vorbei an 1927 erbauten Wasserkraftwerken, unterbrochen nur durch eine Kuhherde (neue französische Vokabel für mich:
troupeau), die auf dem Weg von der einen Weide zur anderen dieselbe Straße benutzen möchte wie wir. Dann geht es hinauf zu einem (fast leeren) Stausee - krass, wie sich auch hier in den eigentlich grünen Pyrenées-Atlantiques die Dürre auswirkt, die in diesem Sommer ganz Europa heimsucht.
Ab dann wird es richtig schön. Bald durchbrechen wir die Baumgrenze und stellen fest, dass der Pourtalet komplett auf Serpentinenhänge verzichtet. Es geht einfach immer weiter das schöne Hochtal hinauf, begleitet vom Bimmeln der Schafglocken. Und plötzlich sind wir oben, überschreiten die unscheinbare Grenze nach Spanien. Dass wir in einem anderen Land sind, zeigt sich eigentlich nur durch die vielen Läden an der Passhöhe. Irgendein Produkt muss es wohl geben, das südlich der Grenze deutlich billiger ist. Schnaps oder Tabak oder beides vermutlich, denn sowas ist nahezu immer Schnaps oder Tabak oder beides. Denselben Effekt haben wir auch im vergangenen Jahr schon bei Basel-Barcelona beobachten dürfen. Wir nutzen die dichte Besiedlung mit Handel und Gastronomie auf der spanischen Seite natürlich gleich aus und kehren auf einen
café con leche und ein
bocadillo ein.
Etwa 30 km, nahezu ausschließlich bergab, trennen uns noch vom Etappenziel in Biescas. Leider hat sich das schöne Wetter während unseres Zwischenstopps verzogen, und graue Regenwolken lauern im Süden. Trotz meiner optimistischen Prognose fahren wir bald schon im Regen, doch irgendwie scheint im Westen auch schon wieder die Sonne, also alles halb so wild. "Wir haben ein trockenes Zeitfenster", entscheide ich also an der Abzweigung nach Haz de Jaca, und scheuche meine Gruppe auf die Erweiterungsoption zum
mirador oberhalb des (leeren) Stausee. Was sich auch lohnt, auch wenn sich in der Abfahrt schon der nächste Regenguss andeutet.
Es ist dunkel geworden. Blitze zucken links und rechts, Donner grollt. Die letzten 8 km werden also zu einem Wettlauf gegen den Wolkenbruch. Den wir tatsächlich mit vier Sekunden Vorsprung gewinnen. Gerade sind wir vor dem Hotel vorgefahren, als der Himmel die Schleusen öffnet. So gutes Timing ist mir als Guide noch nie gelungen. Was dann am Abend noch folgt, ist eine unvergleichliche Tapas-Orgie im Hotel-Restaurant. Sagenhaft und ein Kandidat für das Abendessen des Jahres. Und für morgen hat Thomas die Messlatte mit seinen Elogen auf den Canon de Anisclo zum Alto de Fanlo auch schon wieder hoch gehängt.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Heute überqueren wir den Pyrenäenhauptkamm vom französischen Norden in den spanischen Süden. Es geht über den wenig bekannten Col de Pourtalet. Wir verlassen Lourdes nach Osten und können erstmal gemütlich im Tal der Gave de Pau einrollen. Dann fahren wir am überraschend lieblich-schönen Rand der Pyrenäen entlang, die Gipfel der Hochpyrenäen immer im Blick. Es geht das Vallée d'Ossau hinauf bis Laruns, wo links die Straße zum bekannten Col d'Aubisque abzweigt. WIr sind jedoch unterwegs ins Geheimtipp-Territorium und genießen die zwar lange, aber nicht allzu schwere Auffahrt zum Pourtalet auf fast 1800 m Höhe. Hier überqueren wir die Grenze und haben nur noch eine lange Abfahrt bis Biescas vor uns.