22.09.2021,
Jan:
Langsam aber sicher kreisen wir das Ziel der Woche ein. Am Donnerstag ist der Tag der Tage, an dem wir den Mont Ventoux bezwingen. Für den Rest der Woche ist fantastisches Wetter vorhergesagt, und auch von den für heute angesagten Eintrübungen ist nichts mehr zu sehen. Heute wollen wir über den
Col de la Liguière nach Sault fahren, um dann eine lange Schleife nordöstlich des
Mont Ventoux über den
Col de l'Homme Mort anzuschließen.
Strahlend blauer Himmel empfängt uns heute Morgen in Isle. Am Rand des Vaucluse-Massivs fahren wir nach Osten bis Saint-Saturnin-les-Apt und, wie die Tour de France dieses Jahr, auf den Liguière, bevor die Profis zweimal den Mont Ventoux erklommen haben. Das haben wir heute nicht vor, unser Tagesprogramm ist deutlich geringer, so dass wir die Auffahrt auf den Pass bei besten Bedingungen und mäßigen Steigungswerten genießen können. Im Tour-de-France-Profil, so liest Thomas heute in der Mittagspause vor, ist der
Col de la Liguière als der härteste Pass des Vaucluse-Massivs beschrieben. Das mag sein, aber die Anstiege sind alle eher sanft zu nennen. Über 8 % geht der Liguière kaum hinaus. Dafür gibt er schöne Rückblicke auf den Luberon im Süden und die Alpilles im Südwesten frei, kaum ein Auto stört uns, und die provenzalisch-typische Kiefer duftet mit dem wilden Thymian um die Wette. Oben Tour-de-France-Bemalung vor dem Passschild und Mont-Ventoux-Blick durch eine Baumschneise, Gruppenbild.
Die Abfahrt zeigt sich erst sanft und wird dann steiler. In voller Pracht ist dann erstmals der Mont Ventoux zur linken frei sichtbar. Hier halte nur ich für Fotos, weiter unten am Aussichtspunkt auch unsere No-1-Fotografen Susanne und Axel. Einfach ein beeindruckender Berg. Kurz darauf finden wir unsere Gruppe an der T-Kreuzung wieder und absolvieren die letzten Kilometer nach Sault. Kurz vorher zweigt der von vorgestern bekannte Anstieg zum
Col de Lagarde d'Apt ab. War das wirklich erst vorgestern? Es kommt mir so ewig her vor. In Sault kennen wir uns nun schon aus. Die meisten füllen die Wasserflaschen im Supermarkt auf. Ich frage nach einem Brunnen, und den gibt es auch an der Touristeninformation. Das Wasser schmeckt etwas mulchig, aber ich nehme es trotzdem. Die werden uns doch wohl hier nicht umbringen wollen, und da ich diesen Bericht schreiben kann, haben sie es auch nicht. Ganz sanft geht es nun nach Aurel, und entlang der Mont-Ventoux-Ostflanke nach Norden hinab in Richtung Montbrun-les-Bains. Der Ort liegt schon im Anstieg zum
Col de Macuègne, dem Vorpass zum
Col de l'Homme Mort, und hier hat uns Tom die Mittagspause ans Herz gelegt. Gruppe 1 sitzt dort schon und besetzt die Außenfläche der empfohlenen Lokalität. Wir bevölkern daher die Pizzeria La Tentation kurz davor und werden gut und schnell bedient. Die heutige Ein-Boxenstopp-Strategie scheint aufzugehen, so ein Glück nach dem Fiasko gestern.
Nun folgen wir weiter dem sanften Aufstieg zum Macuègne, der zunächst an bizzaren Felsenformationen vorbei, dann über eine Serpentinenkombination an Höhe gewinnt. Und plötzlich sehe ich ihn, den Mont Ventoux von hinten. Den habe ich so noch nie gesehen. Ich bin schwer beeindruckt. Natürlich sind die anderen aufgrund unserer Fotostopps längst enteilt, und am Macuègne übernimmt ein niederländisches E-Bike-Pärchen das Passschildbild für mich. Im Anschluss nochmals feinste Mont-Ventoux-Blicke. Die Steigung lässt nach, und locker pedalierend erreichen Mirko und ich die Passhöhe des Col de l'Homme Mort. Gruppenbild und weiter geht's. Tolle Abfahrt nach Ferrassières, wieder mit Ventoux-Blicken. Aber was ist mit den Autofahrern hier los? Eine völlig überforderte Dame überholt ohne Sicht, und statt zu bremsen drängt sie Mirko fast von der Straße. Das war knapp. Der Gegenverkehr stand zum Glück. So etwas habe ich in Frankreich noch nicht erlebt, und leider passiert es heute nicht zum ersten Mal.
Wir durchfahren wieder Sault (diesmal ohne Wasserstopp) und fahren ohne Halt in den nächsten Pass, den gut ausgebauten
Col Notre Dame des Abeilles, der parallel oberhalb zur
Gorges de la Nesque nach Ville-sur-Auzon führt. "Der Pass gefällt mir aber nicht", sagt Susanne, und ich wäre zu diesem Zeitpunkt auch lieber über
Col de la Ligne /
Col de Murs gefahren wie die kürzere Variante. Wir begeben uns in die Abfahrt. Oder besser: wir stürzen uns in die Abfahrt. 180-Grad-Blick, Cinemascope. Luberon, Alpilles, Dentilles, Mont Ventoux zur Rechten. Tiefblick in die Ebene dazwischen. Der Wahnsinn. Daher also! "Ja, mega Abfahrt", befindet Susanne beim Wasser fassen in Ville-sur-Auzon am Dorfbrunnen. 32 km Heimflug mit Schiebewind. So viel gesehen. Ich bin beeindruckt. Morgen Ruhetag, und am Donnerstag werden wir ihn dann bezwingen, den Giganten.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Eine sehr lange Etappe, die nur für die sportive Gruppe in Frage kommt (wenn überhaupt). Mit dem Col de l'Homme Mort (1212 m) steht einer der höchsten Pässe der Umgebung - abgesehen vom Mont Ventoux natürlich - auf dem Programm.