22.08.2021,
Jan:
Vor zwei Tagen war die Wettervorhersage der heutigen Etappe bei Starkregen von früh bis spät. Gestern Abend konnte ich bei der Etappenansprache schon die Hoffnung auf nur noch Nieselregen verkünden, und tatsächlich flaut der nächtliche Weltuntergangsregen gegen 8 Uhr ab, und wir können sogar auf halbwegs trockenen Straßen losfahren. Das war schon deutlich mehr als zu hoffen war, und so starten wir frohen Mutes in den kühlen Morgen. Sofort verlassen wir Délemont und sofort sind wir auf schmalen Straßen durch einsame jurassische Landschaften unterwegs. Noch ist nichts los, und noch können wir ungehindert Zweierreihe fahren. Der erste Anstieg führt uns in die Schlucht des Pichoux, die sich ansehnlich in den Fels gegraben hat.
Wir haben uns etwas Zeit gelassen am Start, so dass wir hier einmal die entspannte Gruppe treffen, sehr nett! Hier ist die erste Passmarke so gut wie erobert, denn der weitere Anstieg Richtung Bellelay folgt vorrangig der Jura-Hochfläche nur leicht bergan. Oben befindet sich eine riesige, aber mittlerweile aufgelassene Klosteranlage und, für uns wichtiger, eine Baustelle, die mit tiefem Schotter und Lehm unsere Räder ordentlich eindreckt. Hier nimmt der Verkehr ordentlich zu, und wir wechseln lieber auf Einerreihe. Dennoch sind die Autofahrer irgendwie aggressiv, eins räumt beinahe die ganze Gruppe ab, als es uns die Vorfahrt nimmt. Erschreckend, und leider trüben diese Erlebnisse die ansonsten schönen Nebeleindrücke der Hochfläche.
Aber wir lassen uns nicht beirren und wechseln im Wind, als wären wir schon immer zusammen gefahren. Die Gruppe harmoniert wirklich toll, und alle übernehmen ihren Teil der Arbeit. Applaus für Isa, Lena, Kristin, Jesse, Marco, Matthias und Sven. In Mont-Tramelan biegen wir nochmals links ab, und endlich können wir den nächsten Anstieg angehen, die kurze Rampe zum Mont Crosin. Noch immer ist es trocken, langsam kommt Hoffnung auf, dass das vielleicht sogar so bleiben könnte. Oben werfen wir schnell eine Windweste über und stürzen und in die rasante Abfahrt. 2012 auf der Schweiz-Rundfahrt sind wir hier schon einmal runter gefahren, aber von damals habe ich nicht in Erinnerung, wie rasant diese Abfahrt ist. Klein machen und rollen lassen... Bremsen muss man fast gar nicht. Unten in St. Imier eingemeißeltes Grinsen allerorten.
So steil wir hinein fuhren, so steil geht es hinaus Richtung Col des Pontins. Marco möchte es heute wissen und stellt seine Leistung auf 300 Watt. Über einige Kehren gewinnen wir rasch an Höhe, erst durch Wiesen, dann durch Wald, und da hier außer treten eigentlich nichts ansteht, folge ich ihm. Sven sieht sein gruppeninternes Bergtrikot in Gefahr und steigt uns nach. Am Pontins fahren wir einfach weiter. Kurz darauf gibt mir der Abzweig nach links auf die Almstraße in Richtung Chasseral eine willkommene Gelegenheit, Marco ziehen zu lassen, denn schließlich hat Lena ja keinen Track, und ich kann mich somit auch mal nützlich machen, indem ich die Gruppe hier einweise. Kurz darauf fahre ich mit Kristin, Matthias und Isa im Gruppetto, was erstaunlicherweise weniger anstrengend ist.
Mittlerweile kommen wir der Wolkendecke immer näher - kontemplative Stille! Hier nimmt der Jura alpine Formen an. Die Passhöhe folgt unvermittelt nach einer Linkskurve, an Panorama eröffnet sich: nichts. Wolken und Alm soweit die Augen reichen. Aber nach der ersten Abfahrtskurve müssen alle anhalten, denn unten glitzern der Neuchâteler und der Bielersee in der Sonne um die Wette. "Und der Murtensee", ergänzt Kristin, die als Bernerin hier fast Lokalmatadorin ist. Wen stört da, dass wir die Alpen nicht sehen, wie damals, 2012, was ich noch wie heute weiß. Kalt ist es, windig ist es, aber immer noch trocken! Also reichen Windweste und Ärmlinge.
Kurz darauf ist es unten in Le Landeron 1100 Höhenmeter tiefer und gefühlt 20 Grad wärmer, es zahlt sich aus, dass wir die Mittagsverpflegung von der Passhöhe nach unten an den Canal de la Thielle verlegt haben. Auf der Satellitenansicht der Fernerkundung war aber der riesige Kiesberg nicht verzeichnet, der das Platzangebot bei Norberts wie gestern formidabel ausgestatteten Verpflegung etwas beengt. Folgerichtig ergreift Gruppe 1 die Flucht bei unserer Ankunft. Nun sind die Highlights der Etappe im Kasten, jetzt müssen wir nur noch nach Bulle, 60 km im Zwischenteil leicht ansteigend. Das klingt machbar, aber das Briefing warnt vor dem kackwelligen Schlussteil.
Um Viertel vor drei sind wir kurz vor Grancourt, als sich vor uns eine dunkle Gewitterwand aufbaut. Das Regenradar zeigt einen Gewitterriegel genau zwischen uns und Bulle, und so kehren wir nach kurzer Recherche zwei Kilometer später in das Café l'Union in Grancourt ein. Die Zelle soll sich bitte vor uns abregnen, und die 41 km werden wir vor dem Abendessen schon noch wegdrücken. Das ist sehr kurzweilig, und schon bald gibt es keine Ausrede mehr am Himmel, länger zu verweilen. Im Folgenden steigt die Straße 300 Höhenmeter auf 10 Kilometern, tatsächlich mit Anstiegscharakter, was ich nicht erwartet hätte.
Jubel brandet auf in der anschließenden Abfahrt: majestätisch thront Romont auf einer Kuppe unter uns! Jetzt sind sogar die Straßen wieder trocken! Routiniert drücken wir die letzten zwanzig Kilometer nach Bulle! Yeah! Und morgen wartet der Große Sankt Bernhard!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Ein paar Flachkilometer zum Auftakt, dann geht es in den Jura hinein, jenes zerklüftete Mittelgebirge, wo es über die Jurafalten hinweg ständig auf und ab geht. Der Jura empfängt uns mit der wildromantischen Pichoux-Schlucht, dann haben wir die hügelige Hochfläche erreicht. Unser Weg führt uns weiter nach Süden, und mit dem Col du Mont Crosin und dem Col de Chasseral folgen die Pässe nun Schlag auf Schlag. Insbesondere der Chasseral weiß mit grandioser Landschaft zu gefallen, und der Blick von der Passhöhe in Richtung Alpen kann bei schönem Wetter absolut atemberaubend sein. Die östlichste Jurafalte fällt steil ins Schweizer Mittelland ab, und so haben wir eine lange Abfahrt in Richtung des Bieler und des Neuenburger Sees vor uns. Auf der zweiten Etappenhälfte ist das Profil zunächst flach, wir fahren entlang des Lac de Neuchâtel. Am Schluss geht es jedoch schon in Richtung der Voralpen, und auf welligem bis hügeligem Terrain ist einiges an Durchhaltevermögen gefragt. Die Etappe endet in Bulle im Kanton Fribourg.