Was für ein Tag. Nomineller Ruhetag heute in den rätischen Alpen. Gestern waren die Straßen steil, wir mussten rauf auf den Mortirolo. "Steil DÜRFEN die Straßen sein", sinniert Hagen in seiner
Eloge über die Rhön im quäldich-Reiseblog. "Schön MÜSSEN sie sein", setzt er hinzu, und meint uns damit unter Druck setzen zu können. Zumal heute nur ein Pass auf dem Programm steht, und wir somit nur einen Trumpf im Ärmel haben. Aber, lieber Hagen, dieser eine Pass ist der
Passo di Gavia, ab Ponte di Legno einer meiner absoluten Favoriten.
Da ich nicht so wirklich Lust auf den unteren Teil des Val Camonicas habe (weder schön noch steil und somit keine Hilfe im quäldich-internen Reiseblog-Battle), versuche ich morgens noch eine Allianz für eine Erweiterungsvariante über Tirano, Passo di Trivigno, Guspessa-Kammstraße, Mortirolo-Abfahrt über Monno zu schmieden, aber leider finden die so zusammen kommenden 3500 Höhenmeter zu wenige Freunde für eine Splittergruppe (obwohl steil UND schön). Macht nichts, denn schließlich hat Tom vom regulären Etappenziel Bormio auch noch den Anstieg zu den Torri di Fraele als Option eingebaut, bei denen ich auch seit 2008 nicht mehr war, damals bei eher mittelmäßigem Wetter.
Also blasen wir den Apricapass Richtung Edolo hinab, mit dem jüngsten Teilnehmer aller Zeiten auf quäldich-Reisen vorneweg: Yves,
Olis Sohn, 15. In Edolo kämpfen wir uns durch den Verkehrsinfarkt, und vor uns sehen wir die entspannte Gruppe, die etwas früher als wir gestartet ist. Damit ist das Rennen eröffnet, Harry legt los. Natürlich kann Martin dann nicht hinten an stehen. Da wir ohne die beiden Lokomotiven nicht recht näher kommen, fahre ich auch nach vorne, und siehe da: Nadine hat sich mit ihrer entspannten an der sportiven Gruppe festgebissen, die den heutigen Ruhetag offensichtlich ernst nimmt. Nach einiger Zeit realisieren Harry, Martin und ich, dass wir wohl mal auf den Rest der Gruppe warten sollten, und tun das an einer Bar linker Hand, mit Caffè und einer Cola für Martin (der sonst stets zwei nimmt). Eine Cola trinkt sich schneller als zwei, aber immer noch nicht so schnell wie ein Caffè, so dass nicht nur unsere Gruppe, sondern auch die 2b und Nadines 3 vorbei rauschen, bevor Jörg (schnell zu uns gestoßen), Harry, Martin und ich das Mannschaftszeitfahren aufnehmen.
Gut aufgewärmt, aber dennoch knapp hinter dem Rest unserer Gruppe erreichen wir so den Abzweig nach Ponte di Legno. Die Track-Anweisungen von quäldich-Reise-Mastermind Tom ignorierend, biegen wir hier Richtung Ort ein, weil wir am heutigen Ruhetag auch eine reguläre Kaffeepause machen wollen. Wie auch alle anderen Gruppen außer Olis, die kurz danach Ponte di Legno in verschiedenen Cafés fluten. Nach einigen tiefschürfenden Diskussionen über die Zukunft des Energie- und Automarktes wenden wir uns wieder wesentlichen Themen zu: Rennradfahren, Rennradfahren am Berg und Rennradfahren am Berg in SCHÖNEN Landschaften, hier Rennradfahren am Berg in SCHÖNEN Landschaften auf sehr schmalen, teils STEILEN Straßen. Martins Motor ist jetzt richtig heiß gelaufen, und schon ist er dem Feld enteilt. Ich bleibe gerade so lange bei ihm, bis ich von ihm ein charakteristisches Gaviabild machen kann (Radfahrer in schmaler Kehre vor beeindruckender Alpenkulisse), und ab diesem Zeitpunkt pendle ich zwischen Yves hinten und Stefan und Jörg vorne hin und her (Harry und Martin sind nicht mehr erreichbar). Das Bild zeigt Franz:
Der Gavia: einfach toll, das sehen heute alle so. Der untere Teil im Wald, der Mittelteil mit der langen Geraden und atemberaubender Alpenkulisse zur Linken, und dann der Schlussabschnitt mit dem Lago Nero, der direkt hinter dem Tunnel beginnt.
Der Tunnel... der ist immer noch nicht beleuchtet, immer noch sehr lang, immer noch mit einem Knick im hinteren Teil, der nur ganz wenig Tageslicht einlässt. Wir sind fast blind, und die mitgeführten Lichter sind einfach sinnvoll, hinten wie vorne. Dann sehen wir den moosgrünen Lago Nero unter uns (das Bild zeigt Dirk eine Kehre oberhalb), und schrauben uns auf den letzten vier Kehren nach oben. Dann fehlen nur noch 1000 m Mondlandschaft auf nagelneuem Asphalt bis zur Passhöhe. Traumhaft! Die ganze Gruppe ist sich einig: den Gaviapass muss man gesehen haben. Und eigentlich viel öfter fahren, wie das Ehepaar aus Brescia, das wir auf ihren Mountainbikes überholen. Die fahren jedes Jahr einmal hoch. Wenn der Gavia nur nicht so weit weg wäre!
Thomas verpflegt uns oben aufs Beste, dazu lassen wir uns Caffè und Gulaschsuppe in der Passgastronomie schmecken (gehört das auch in die Kategorie
Zockerstei, Hagen?), und stürzen uns nach geraumer Verweildauer in die mehr als ruppige Abfahrt. Schön ist diese Seite ja auch, aber mittlerweile nicht mehr schön in der Abfahrt zu fahren. Der Punkt geht an die Rhön: 90 km/h wie hinunter nach Elters sind hier nicht möglich. Die letzten Kilometer versöhnen dann wieder mit einer letzten Schussabfahrt von Sta Caterina Valfurva nach Bormio, wo uns ein tolles Hotel erwartet.
Mich allerdings erwartet Thomas, diesmal der andere Thomas. Der eine Thomas ist mit dem Gepäck noch auf dem Gaviapass. Des anderen schnelle Gruppe hat die Segel gestrichen, und er hat mir schon per Nachricht mitgeteilt, dass er noch ein Hinterrad für die Torri di Fraele sucht. Gruppe 2 lässt sich nicht lumpen, und so sitzen wir ein Kaltgetränk (alkoholfrei) später wieder mit Charly, Martin und Harry auf dem Rad Richtung Torri di Fraele. 800 Zusatzhöhenmeter auf 25 km, 12,5 km hin, 12,5 km zurück, relativ unmotiviert, und relativ klar, dass relativ wenige dafür zu motivieren sind, da kann man noch so sehr mit landschaftlicher und straßenbaulicher Grandezza werben. Aber genau dieses erwartet uns ab Fior d'Alpe Torripiano auf 8,8 km, 634 Höhenmetern und 21 Kehren bei konstanten 7% zu den Türmen (4 unten, 17 direkt übereinandergestaffelt oben), mit ständig wechselnden Blicken hinauf und hinunter Richtung Bormio, und weiter Richtung Passo di Foscagno. Oben an den Torri dann die Überraschung: die Straße ist weiter asphaltiert, am Lago delle Scale bis zur touristischen Infrastruktur nahe der Staumauer, von der man den ersten Lago di Cancano bereits sehen kann.
Wir rollen zurück und verbummeln weitere Zeit in dem nun auf Asphalt erreichbaren Rifugio einige Hundert Meter hinter den Torri. Hier erreicht uns die Nachricht, dass uns Nadine mit Franz und Dirk aus der Sportiven Gruppe nachsetzen. "Nadine war einfach überzeugender als du", sagt Dirk im Vorbeifahren. Was für eine Krönung eines genialen Radtags. Wir acht sind uns einig: die Torri di Fraele muss man gesehen haben!
Was muss man in der Rhön gesehen haben, Hagen?
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Es ist eine kurze Etappe, die uns heute erwartet, aber langweilig wird uns mit Sicherheit nicht werden. Dafür wird schon die Südrampe des Passo di Gavia sorgen, die zu den beeindruckendsten Passauffahrten im gesamten Alpenraum gehört. Zunächst fahren wir jedoch noch von Aprica hinab nach Edolo und das Val Camonica hinauf nach Ponte di Legno. Hier beginnt die schmale, oft spektakulär am Hang gebaute Auffahrt auf den Gavia. Nach der Abfahrt in den Etappenort Bormio könnte man vielleicht noch die eine oder andere Stichstraße anschließen - man sollte jedoch auch genug erlebt haben, um den Tag zu beschließen.
Option: Nach dem Gavia kann man noch zum Passo Torri di Fraele fahren - eine herrliche einsame Sackgasse. Das bedeutet eine Etappe von 101 km und 2800 Hm.