06.09.2020,
majortom:
Irgendwann gab es einmal ein Foto im quäldich-Kalender mit dem Titel "Nebelstimmung am Port de Balès". Wohlwollende Menschen könnten auch der heutigen ersten Etappe der Pyrenäen-Klassiker diesen Namen geben. Aber realistisch betrachtet kam beim Entstehen des Kalenderbilds auf den letzten drei Kilometern des Passes die Sonne raus. Was wir heute leider nicht für uns beanspruchen können.
Von Beginn an: schon gestern sind wir bei unseren neuen Freunden Magali und Christian im zwar einfachen, aber sehr herzliche geführten Hotel in Tarbes angekommen. Der Prolog rund um Tarbes war als nicht geguidet ausgeschrieben, aber natürlich haben Mark und Rupert ihn trotzdem geguidet und wurden auf terra inkognita mit 15-prozentigen Rampen konfrontiert. Während der Reiseleiter sich noch im Zug eines senilen Senioren-Lustmolchs erwehren musste. Die Stimmung war gestern Abend schon sehr gut, und auch am heutigen Morgen war die Vorfreude größer als die Nervosität, zumindest wenn man das ungeduldige Scharren mit den Hufen aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer so interpretieren möchte. Wir sind trotz tief hängenden Wolken und nassen Straßen heiß auf die Pyrenäen.
Die ersten 70 Kilometer bis zur Mittagsverpflegung wurden als "flaches Einrollen" angekündigt, ein abermaliger Beweis dafür, dass Erinnerungen mit der Zeit idealisiert werden, denn der 2015 schon hier gewesene Berichterstatter wusste nicht mehr so recht, dass es eher ein Sägezahnprofil ist, ein Auf und Ab, das in unserem Höhenprofil einfach durch den heute alles überragenden Port de Balès untergeht. Eigentlich wollte ich ja heute wieder als der Tony Martin der entspannten Gruppe meine Mitstreiter an der Spitze bis in den Berg führen, doch ich habe die Rechnung ohne Christian und Philipp gemacht, die ihren Anteil an der Führungsarbeit einfordern. Das Tempomanagement ist hervorragend, und wir fahren geschlossen über die Hügel und Wellen.
Die großartige Sylvia hat (es ist noch zu klären, ob mangelhafte ihr zur Verfügung gestellte Koordinaten dafür verantwortlich sind) den Verpflegungscruiser in einem hübschen Wohngebiet geparkt, so dass uns die Hunde der Villenbesitzer durch den Zaun hinweg anjaulen und ihren Teil an unserem Hygiene-konformen Buffet einfordern. Wie üblich hat Sylvia keine Kosten und Mühen gescheut, und wir bekommen mal wieder alles was das Herz begehrt. Kudos für Sylvia.
Womit wir den Löwenanteil der Strecke, nicht jedoch den Löwenanteil der Höhenemter bewältigt hätten, und nur noch der Port de Balès trennt uns vom Ziel. Gestern ist das Tour-Peloton hier drüber, viele Spuren auf der Straße haben sie nicht hinterlassen. Die meisten Anfeuerungs-Schriftzüge entfallen auf Pavel Sivakov, der zwar Russe ist, aber in der Haute-Garonne aufgewachsen ist und lebt. Der Port de Balès ist vor allem wegend es unrhythmischen Profils eine harte Nuss. Flachpassagen wechseln sich mit Passagen im zweistelligen Steigungsbereich ab, und es ist unmöglich, einen Rhythmus zu finden. Weswegen ich mich auf meinen Formrückstand berufe, vorausschauend schon mit zum Hotel freigegeben habe (was aber so oder so Sinn ergibt, denn es wäre völliger Unsinn, die Gruppe an der Passhöhe zu sammeln, wenn die Abfahrt quasi bis zum Café de la Paix geht, das uns gerade Grimbergen Blanche und Panaché (und Sylvia ihren Spritz) serviert.
An der Passhöhe: Sichtweise etwa 50 m, Nieselregen. Die Wolken hängen tief. Mitleidige Blicke von den Kühen, die am Straßenrand widerkäuen. Ich denke an Philipps Kommentar: "Wir warten im Pool auf euch."
Unsere Grüße des Tages gehen an die Crew der Pyrenäen Atlantik-Mittelmeer (die gestern - mea culpa - etwas enger zusammen rücken mussten), sowie an Jan und Kollegen in Chiavari, die vielleicht besseres Wetter, aber defintitiv die schlechteren Tagesberichte haben!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Von Tarbes aus sieht man den Kamm der Pyrenäen am Horizont, und insbesondere der eindrucksvolle Pic du Midi möchte uns so schnell wie möglich ins Gebirge locken. Doch zunächst fahren wir durch das Pyrenäenvorland und arbeiten uns ein wenig nach Osten vor, die Berge stets im Blick. Die Vorfreude steigt also stetig. Auf zwei kleine Hügel folgt eine längere Flachpassage, und erst – ungewöhnlich für eine quäldich-Reise – nach knapp 70 Kilometern erreichen wir Mauléon-Barousse, wo der Anstieg zum Port de Balès beginnt. Es handelt sich um ein verwegenes kleines Sträßchen mit einigen steileren Rampen, doch im oberen Teil offenbaren hier die Pyrenäen ihre ganze einsame Schönheit mit Weitblicken bis zum Pyrenäenhauptkamm. Und nach einer schönen Abfahrt sind wir auch schon im Etappenziel Bagnères-de-Luchon angekommen.