08.09.2020,
majortom:
Die Messlatte liegt hoch, schließlich hat unser Oberchef Jan den Port de Pailhères wiederholt als schönsten Pass der Christenheit bezeichnet. Dabei hat Jans Autorität ja deutlich gelitten, weil seinen Berichten zufolge seine Gruppe in Ligurien ja kaum Radfahren ist, sondern nur ein Bar-Hopping von Ort zu Ort macht. Oder wie heute ein (auf eigenen Wunsch hin anonymer) Teilnehmer sagte: "Nach der Hälfte des Berichts konnte ich nicht mehr nachvollziehen, wer wann wo Wasser holen war." Aber reden wir lieber über den Pailhères statt über weichgekochte Nudeln mit Barilla-Pesto aus dem Glas, das Jans arme zersplitterte Meute in divensen ligurischen Pinten serviert bekommen hat. Als ich vor 5 Jahren in den Pyrenäen war, hatten wir am Pailhères ähnliche Bedingungen wie auch vorgestern am Port de Balès: Nieselregen, tief hängende Wolken, man sah kaum die Hand vor Augen. (Wer nachlesen möchte, wie wir damals stattdessen Pansenwurst geschlemmt haben, kann das
hier tun.) Umso mehr freuen wir uns, den schönsten Pass der Christenheit heute bei strahlend blauem Himmel und besten äußeren Bedingungen zu fahren.
Die Etappe heute ist wieder Mystery und der Corona-bedingten Deiberisierung der Reise geschuldet. Inzwischen wissen wir: es war nicht nur wegen des Wetters die schönste Etappe bislang. Wir bei quaeldich.de sind ja erklärte Fans der französischen (oder ligurischen) Landstraße an sich, und so freuen wir uns über das dichte Pässenetz im Grenzgebiet zwischen Ariège und Aude, die uns heute sogar drei verschiedene Etappenvarianten erlauben. Rupert, mit großem Tatendrang, schart sofort eine Gruppe C um sich, die die längste Variante mit 3300 Höhenmetern fahren möchte. Erstaunlicherweise vergrößert er damit sogar seine ursprüngliche sportive Gruppe. Sowohl die ausdauernde als auch die entspannte Gruppe entscheiden sich dagegen für die A-Variante.
Für alle Gruppen geht es hinaus aus Foix, leider zunächst auf der etwas stärker befahrenen D117, aber das ist in den Pyrenäen wie übliche in Luxusproblem, denn viel Verkehr gibt es hier nie. Die C-Gruppe schlägt sich dann zur Hauptstraßenvermeidung links in die Berge und sammelt (Passjagd, Jan!) noch zwei zusätzliche Pässe ein. Für alle anderen beginnt der einsame Abschnitt erst in Belesta, wo es in einen Pass mit dem melodischen, aber auch etwas martialisch klingenden Col de la Croix des Morts geht. 500 Höhenmeter auf 7 km, sehr unrhythmisch und deswegen nicht so leicht zu fahren. Gleichzeitig aber auch irgendwie - es liegt vermutlich am Sonnenschein - irgendwie südländisch anmutend, wie in abgelegenen Regionen der Provence oder so. Von wegen schwarzwaldesk.
Danach geht es über ein Hochplateau, und auf einmal offenbaren sich uns die schon vor Tagen angekündigten traumhaften Blicke auf die hohen Pyrenäen. Die ausdauernde Gruppe bleibt immer in Sichtweite, was natürlich dazu beiträgt, das Tempo höher zu halten als unbedingt nötig. Vielleicht nicht so klug, wenn man bedenkt, was noch kommt. Nach einer schönen Serpentinenabfahrt vom Col des Reyes geht es sofort nahtlos weiter in eine steile Rampe zu einem noch namenlosen Pass, und kurze Zeit später stehen wir bei der wie immer schon seit mindestens 50 km ersehnten Verpflegung bei Sylvia. Heute ist sie um halb sechs oder so aufgestanden, um für uns Tomaten-Mozzarella-Salat zu machen. Grandios.
Beinahe wäre ich, dem Formrückstand Tribut zollend, ins Begleitfahrzeug gestiegen, fehlt noch nur noch eine Abfahrt ins Aude-Tal und die 1200 Höhenmeter zum Port de Pailhères. Aber es ist ja der schönste Pass der Christenheit, und da kann ich mich heute nicht aus der Affäre stehlen und muss die Etappe zuende fahren. Schon die Abfahrt in die Aude-Schlucht ist wunderschön. Der Pailhères beginnt ganz zahm, zeigt dann aber mit längeren Passagen zwischen 9 und 11 Prozent auch sein fieses Gesicht. Was aber weitestgehend unerheblich ist, denn der Pailhères ist einfach wunderschön. Ein grandioser Serpentinenhang, mitleidig blickende Schafe, die Umgebung felsig-hochalpin (bzw. hochpyrenös). Und kurz vor der Passhöhe dann ein Ausblick ins Flachland, der hier sogar weit bis über den Eiffelturm hinaus reicht. Wir verneigen uns also virutell vor Jan und erkennen an: der Pailhères ist der schönste Pass der Christenheit.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Durch die Etappenverschiebung fahren wir nun schon auf der dritten Etappe über den Port de Pailhères, der mit seinem sagenhaften Serpentinenhang vielen als der schönste Pass der Pyrenäen gilt. Der Weg dorthin verläuft wieder durch hügeliges Gelände, und mit dem Col de Rives und dem Col des Aychides sammeln wir noch ein paar kleiner Pässe ein, bevor wir den Pailhères in Angriff nehmen. Abfahrt nach Ax-les-Thermes, wo wir zwei Nächte bleiben.