27.08.2020,
Jan:
Was für ein Tag! Blauer Himmel vom ersten Kilometer. Blauer Himmel über Guillestre und der Nordanfahrt zum Col de Vars. Der ist im Etappen-Roadbook als hässliches Entlein der Route des Grandes Alpes bezeichnet, besser gesagt, als zuunrecht so benannt. Das können wir alle nachvollziehen, denn der Serpentinenhang über Guillestre mit Blick auf Stadt, Festung und die umgebende Bergwelt ist wunderschön.
Auch weiter oben die Alm ist schön, auch Vars ist ansprechend. Nur die drei bis vier in französischen Ski-Ressorts obligatorischen Hochhäuser sind hässlich, aber die bringen wir schnell hinter uns. Und sitzen dann oben in der Sonne und trinken Café, corona-bedingt etwas verzögert.
Apropos Corona. Seit gestern ist unsere Reisegegend offiziell Risikogebiet. Das ist nicht schön, weil wir nun alle in Quarantäne müssen, bis die Testergebnisse vorliegen. Aber jetzt sind wir hier und machen mit weiter erhöhten Hygienemaßnahmen das Beste draus.
Draußen ist es eh am Sichersten, und wir sind den ganzen Tag draußen. Unter blauestem Himmel schießen wir die Col-de-Vars-Abfahrt hinunter ins Ubaye-Tal. Am Abzweig zum Larche sammeln wir uns, und ab da geht es im Formationsflug weiter, am Abstecher zum Col de la Bonette vorbei auf der Route des Grandes Alpes Richtung Barcelonnettte. Der Wind pfeift von vorne, aber wir lassen uns nicht aufhalten. Kurzvor Barcelonnette weichen wir auf die Umfahrung aus (die mittlerweile für Radfahrer verboten ist) und biegen Richtung Cayolle und Allos ab. Über den Cayolle kommen wir morgen zurück, jetzt geht es hoch auf den Allos. So einsam, so schön! Autofrei ist er an jedem Freitag bis 12 Uhr, fast autofrei ist er auch jetzt. Wir schrauben uns immer höher, sehen irgendwann die Cayolle-Passstraße tief links unter uns in der Bachelard-Schlucht liegen, und erreichen Sille 7 km unterhalb der Passhöhe. Ein sehr schöner Ort mit Schatten, tollen Ausblicken und erstklassiger Corona-Verpflegung.
Nun wird es erst recht richtig schön, und eigentlich viel zu schnell ist die heute sehr windige Passhöhe erreicht. Schnarchnasige Bedienung unterhalb der Allos-Passhöhe (die sich noch als Vorteil herausstellen wird).
Nun Abfahrt auf holpriger Straße bis La Foux dann rasant hinunter nach Allos, und von da wieder in einer langen Einerreihe bei Geschwindigkeiten zwischen 40 und 50 weiter gen Tal.
Den Abzweig zum Col des Champs lassen wir diesmal links liegen, und damit beginnt für mich Terra Inkognita. Schon die Burg in Colmars-sur-Alpes überrascht mich peinlicherweise, und dann geht es einfach noch 15 km weiter runter, wo die D908 nach links in Richtung Col de Colle St. Michel abbiegt. Baustellenschilder versperren die Straße, aber wir lassen uns nicht abschrecken. Wird schon gehen! Sille ruft an, Gruppe 1 wurde abgewiesen und fährt jetzt 40 km durch das Tal. Die Bauarbeiter ließen erst wieder ab 17 Uhr jemanden durch. Es ist zehn nach vier, bis wir da oben sind, haben die Bauarbeiter sicher längst Feierabend gemacht.
So ist es nicht ganz, aber sie sind so kurz davor, dass die Gegenwehr bei uns nicht mehr groß ist. Sie bauen den Bauzaun ab, wir können durch. Die Auffahrt ist sanft und nett, die Abfahrt gehört mit zum Besten, was diese Reise zu bieten hat. Massive Felsformationen, eine monumentale Felsmauer, ein wie ein Vogelnest an die Wand gebautes Dorf und eine reich mit Bögen gestützte Eisenbahnstrecke gibt es zu bestaunen.
Dann erreichen wir Annot, ein wunderschönes mittelalterliches Kleinstädtchen mit einem schnuckeligen kleinen Hotel und bestem Abendessen auf der luftigen Hotelterrasse.
So schön ist es in der Hochprovence!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Eine lange Etappe, eine schwere Etappe. Aber auch eine wunderschöne Etappe. Wir beginnen direkt ab Guillestre mit dem Col de Vars – das hässliche Entlein der Route des Grandes Alpes, der dort zwischen Izoard und Cayolle nie die Aufmerksamkeit bekommt, die er vierdient. Aber auch wir müssen zugeben: der Col d'Allos, den wir als zweiten Pass des Tages bezwingen, ist der schönere, herrlich gelegen oberhalb der Bachelard-Schlucht. Und noch einen dritten Pfeil haben wir im Köcher: der recht flache Colle Saint-Michel, der uns in den abgelegenen Etappenort Annot führt.