22.06.2019,
majortom:
80 Prozent Regenwahrscheinlichkeit. Das klingt erstmal viel. Bedeutet aber auch, dass es in 20 Prozent der Fälle
nicht regnet. Da das Glück mit den tüchtigen ist, erwischen wir heute einen 20-Prozent-Tag. (Was sich – siehe unten – jedoch nicht nur in der Regennichtwahrscheinlichkeit manifestierte.)
Wie auch immer. Dritter Tag, dritter Ballon. Der unbekannteste in unserem Ballonquadrupel, definitiv der einfachste, und auf eine eher unspektakuläre Abfahrt dennoch auch ein schöner. Der Ballon de Servace, irgendwo tief in den südlichen Vogesen drinnen. Um dorthin zu kommen, eiern wir zunächst mal wieder über den liebgewonnenen Radweg im Thur-Tal. Rollsplitt, teilweise holpriger Asphalt, immer wieder kurze Rampen, aber immer noch besser als die Route Nationale. Wir sind Genießer, und wir wollen es auch heute bleiben. Beim einzigen Defekt unserer Gruppe solang zieht dann Oliver mit den Entspannten dabei. Womit klar ist: heute sichern wir unser Peloton nach hinten ab. Heute sind wir die entspannte Gruppe. Natürlich nehmen wir diese Rolle demütlg an.
Der Col d'Oderen ist der Aufgalopp. Wir kennen zumindest die Abfahrt schon, die am ersten Tag sensationell war, und auch der Anstieg ist ganz hübsch, auf jeden Fall gut und locker zu fahren und so dann doch eher ein Auftakt nach Maß als gestern, als wir praktisch ohne nennenswerte Aufwärmphase in den Grand Ballon rein sind. An der Passhöhe scheint ein Radfahrer-Treffpunkt zu sein, denn außer unseren beiden Gruppen (entspannt und neo-entspannt) sind auch noch zwei andere Gruppen hier. Es fällt ganz schön schwer, sich wieder zu sortieren, doch dann fährt doch jeder in der korrekten Gruppe ab nach Ventron. Immer noch kein Regentropfen bis jetzt.
In der Abfahrt vom darauf folgenden Mini-Pass stellen wir die Entspannten wieder. Doch sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn die Neo-Entspannte Gruppe entscheidet sich auf Vorschlag des Guides für eine Zwei-Boxenstopp-Strategie und fällt schon beim Bolanger in Le Thillot ein. Deutschsprachiges Personal, das zudem noch das Tischerücken auf der Terrasse gelassen hinnimmt. Sensationelle Erstpause. Auch wenn dem Berichterstatter dann im Ballon de Servance das Speck-Zwiebel-Käse-Dingens etwas schwer im Magen liegt.
Die Vorteile des Ballon de Servance: traumhaft einsame, schmale Straße. Vom Vorpass Col des Croix bis nach Plancher-les-Mines sehren wir kein einziges Auto. Dafür jede Menge Radfahrer. Die Nachteile des Ballon de Servance: ein nervig unrhythmischer Anstieg, in dem es sehr schwer fällt, so richtig auf Touren zu kommen. So dass der Speck-Zwiebel-Dings-geplagte Berichterstatter sich eher im Grupetto orientiert. Aussicht hat man zwar keine nennenswerte, aber dennoch war es irgendwie ein traumhafter Anstieg. Die Abfahrt ist holprig, aber ebenso idyllisch und schön. Sensationell.
Brav wartet die Gruppe dann ab Abzweig der Bergankunft par Excellence. Der Alpe d'Huez der Vogesen. Also der Plance des Belles Filles, die auch 2019 wieder auf dem Speiseplan der Tour de France steht. An dieser Stelle ein kleiner Exkurs. Der etwas seltsam klingende Name ("Planke der Schönen Mädchen") geht auf dem Dreißigjährigen Krieg zurück. Ein marodierendes schwedisches Söldnerheer hatte sich in die südlichen Vogesen verirrt. Vermutlich war ihnen von König Gustav Adolf Köttbullar versprochen worden, und alles war auf dem Söldner-Teller landete, war Choucroute. Jedenfalls wollten sich die Schweden dann an den jungen Frauen der Umgebung gütlich tun, die jedoch in weider Voraussicht bereits in die Berge geflüchtet waren. So einfach ließen die Schweden sich jedoch nicht abspeisen, folgten den
belles filles in die Berge, so dass diese nur den Ausweg sagen, sich über einen Planke in den sicheren Tod zu stürzen. (Danke für das Ausgraben dieser Anekdote an den vorübergehenen Kulturattaché und Bierstrichlisten-Spitzenreiter...)
Als wir gerade losfahren wollen, rauscht das Tal hinauf eine Gruppe durchgestylter Rapha-Hipster heran. Der fachmännische Blick sagt: zumindest der letzte kann nichts, den versägen wir! Schließlich ist es eine Tour-Bergankunft. Es ist steil. Hier gibt es kein Geplänkel, kein Taktieren, keine Attacken. Wer die besten Beine hat, gewinnt. Nicht so ein unrhythmischer Kack wie am Ballon de Servance. Also sofort los in die erste 15-prozentige Rampe, und es werden keine Gefangenen mehr gemacht. Und wie sagte Guy gestern? "Ich bin ein Waschlappen, und du bist ein Athlet." Zwar nicht zu mir, aber es verpflichtet dennoch. Ein kleines Flachstück nach der ersten Kehre, der Abstand zum Rapha-Hipster schrumpft, und kurz nach der zweiten Kehre fängt er an, Schlangenlinien zu fahren. quäldich vs. Raphagang: eins zu null. Nun müssen wir natürlich durchziehen. Ohne zu wissen, dass nach dem Parkplatz (wo unser Track endet) noch eine zwanzigprozentige Rampe (ist es ein Omen, dass die Prozentzahl identisch ist mit der Nichtregenwahrscheinlichkeit?) zum Ziel der Tour-Bergankunft kommt. Wo ich dann Schlangenlinien fahre. Was solls. Souverän zu den belles filles gefahren.
Den Schwung aus der Abfahrt nutzen wir gleich, um weiter das Tal hinunter zu rauschen. Bis zum Kreisverkehr, wo die ex-entspannte Gruppe sitzt. Als neo-entspannte Gruppe können wir natürlich nicht einfach so vorbei fahren und kehren ebenfalls noch auf ein Eclair und ein Coläle ein. Pausenmanagement ist alles.
40 Kilometer fehlen noch. Wir überspringen in der Berichterstattung jedoch den Kackwellenteil (auch wenn wir ihn souverän gemeistert haben) und springen gleich zur finalen Mini-Kackwelle. Testosteron ist immer noch vorhanden. Klaus erhöht das Tempo und wirft somit seinen Hut in den Ring. Konterattacke vom Berichterstatter. Konterkonterattacke von Klaus. Er sichert sich somit die letzte Bergwertung, die bekanntlich doppelt zählt. Nur Guy bestätigt mal wieder seinen Status als Gentleman und begleitet unsere testosteronfreie Dame. Dann rollen wir nur noch nach Thann runter.
Und schon wieder eine sensationelle Etappe. Jetzt essen!
Fußnote: Die sportive Gruppe hat heute zwei Kaffeepausen gemacht.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Nicht ganz zur Königsetappe taugt die heutige Runde, wenn man den Abstecher zum Grand Ventron weglässt. Noch mehr reduzieren könnte man das ganze, indem man auch noch auf die
belles filles verzichtet...