20.05.2018,
majortom:
Inzwischen ist es fast schon Tradition, dass die erste richtige Etappe unserer Provence-Reisen die Gorges de la Nesque herauf führt. Tatsächlich spricht viel dafür: landschaftlich überragend und sportlich nicht allzu herausfordernd. Und so haben wir uns trotz der unsicheren Wetteraussichten entschlossen, nicht mit der Tradition zu brechen und auch heute der Schlucht einen Besuch abzustatten.
Unsichere Wetteraussichten? Als unsere drei Gruppen um 8 Uhr 30 vom Hof des Hotels rollen, haben wir strahlenden Sonnenschein von tiefblauem Himmel. Entsprechend euphorisiert sind wir, als es zunächst das Ouvèze-Tal hinunter geht. Gestern sind wir schon hier hinauf gekommen, also kennen wir auch den Col Saint-Michel schon, der von dieser Seite mit etwa 20 Höhenmetern aber noch lächerlicher ist. Es macht Spaß, in der Gruppe zu cruisen. Als wir in Mollans das Tal verlassen, beginnt dann der wellige Teil der Etappe. Die erste Welle wird noch im Verband genommen, in der zweiten hinauf zum Pas de Voltigeur wird dann der Wunsch geäußert, die Jacken auszuziehen, also wird der Anstieg freigegeben. Jacken ausziehen - gut so, denn es wird richtig warm in der provenzalischen Sonne.
Wir fahren über die Nebenstrecke nach Malaucène, dann weiter in südlicher Richtung. Ein etwas längerer Anstieg hinüber nach Moirmoron stellt sich uns noch in den Weg, und dann sind wir auch schon in der erweiterten Anfahrt zur Nesque-Schlucht. Erster Platten für heute, souverän behoben. So rollen wir dann nach Villes-sur-Auzon, wo der eigentliche Anstieg beginnt.
"18 Kilometer", gebe ich mit der Freigabe bekannt, was wohl dem einen oder anderen etwas Respekt einflößt. 18 Kilometer bergauf relativieren sich aber bei diesem Anstieg, wenn man weiß, dass die Steigung eigentlich kaum mal die sechs Prozent überschreitet. So braucht es eine Weile, bis der erste Fahrer in unserer Gruppe sich ein Herz fasst und so langsam das Tempo erhöht. Trotz leichter Steigung rollt es gut, und so formiert sich im unteren Teil des Anstiegs eine perfekte Zweierreihe. So bin ich bislang noch nie hier herauf gefahren. Die Schlucht wird immer spektakulärer, und in der zweiten Hälfte splittert dann auch der Verband auf. Macht nichts, hier will man ja sowieso den einen oder anderen Fotostopp einlegen. Die Schlucht ist landschaftliche in Traum, Tiefblicke und sehr schöne Straßenführung - es macht einfach Spaß.
WIr treffen uns wieder am Aussichtspunkt am oberen Ende der Schlucht, wo der Mont Ventoux direkt in der Verlängerung der Schlucht liegt und ein tolles Fotomotiv liefert. Viel häufiger fotografiert wird jedoch das Schwein, das hier wohl auf ein paar Essensreste hofft. Nicht von uns, denn unsere Pause ist erst kurze Zeit darauf in Sault geplant. Inwzischen sind auch ein paar Wolken aufgezogen, und es scheint so, als müssten wir nun auch mit Regenschauern rechnen. Tatsächlich ist kurz vor Sault die Straße nass, und als wir dort angekommen sind, flüchten wir auch schnell in das bewährte Restaurant "La Promenade", um dem Regen zu entgehen.
Das zersetzt natürlich erstmal die Moral, und bei Plat du Jour und Café au lait beobachten wir von drinnen den Wolkenbruch. Erste Alternativpläne werden geschmiedet und auch in die Wege geleitet. Auch die Sportiven sind im Restaurant nebenan abgestiegen, und nach und nach treffen auch die Fahrer der entspannten Gruppe ein. Schließlich nutzt meine Gruppe eine kurze Regenpause zum Aufbruch. Ein gewisses Vabanquespiel, denn das Wetter ist im Moment nicht wirklich vorauszusagen. Könnte sein, dass wir die restlichen 45 km im Regen zurück legen. Doch alles richtig gemacht, wie sich bald herausstellt, denn schon in der Abfahrt von Aurel ins Toulourenc-Tal trocknet die Straße ab, und wir sehen immer größere Flecken blauen Himmels. Während wir einen zweiten Platten beheben, gebe ich diese (hoffentlich) motivierende Information an die Guide-Kollegen weiter.
Da jeder nun so schnell wie möglich ins Hotel möchte, geht fast ein bisschen unter, wie spektakulär und wildromantisch die Gorges d'Aulan im unteren Teil des Passes ist. Schöne Felsformationen, rausender Gebirgsbach, schmale Straße praktisch ohne Autoverkehr. Inzwischen sind wir nur noch zu zweit unterwegs - der größte Teil der Gruppe ist schon voraus gefahren, als wir den Schlauch gewechselt haben - doch es rollt nach wie vor gut. Schöner Col d'Aulan, auch wenn wir ihn heute möglicherweise nicht genug gewürdigt haben.
Oben fallen ein paar unmotivierte Regentropfen, aber bei weitem nicht genug um nass zu werden. 20 Kilometer Abfahrt durchs Ouvèze-Tal fehlen noch, dann haben wir die erste Etappe souverän beendet. Ohne nass zu werden. Sensationell!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Traditionell wird bei unseren Provence-Reisen im Frühjahr die Gorges de la Nesque auf der ersten richtigen Etappe befahren. Sie ist wie gemacht dafür, denn sie ist landschaftlich überragend, aber bei moderaten Steigungen nicht allzu schwer – ideal also, um in die Woche zu starten. Am Morgen geht es jedoch erstmal das Ouvèze-Tal hinab und dann durch hügeliges Terrain bis Malaucène, wo auch eine der Auffahrten zum Mont Venotux startet. Diesen lassen wir heute jedoch links liegen; wir umrunden das Ventoux-Massiv gewissermaßen und heben uns den Giganten für einen der folgenden Tage auf. Durch das weitgehend flache Comtat geht es bis Ville-sur-Auzon, wo die Auffahrt durch die Nesque-Schlucht startet. Spektakuläre Tiefblicke sind uns garantiert, bei schönem Wetter auch ein tolles Ventoux-Panorama von Aussichtspunkt am höchsten Punkt der Schlucht. Und ein weiteres Highlight haben wir für die erste Etappe: den einsamen, wunderschönen Col d'Aulan, der uns zurück ins Ouvèze-Tal führt.