24.05.2018,
majortom:
Heute machen wir als Tagesbericht aus der Provence mal keine minutiöse Nacherzählung des Tages (das liest sich ja doch nur wieder wie der unmotivierte Aufsatz eines Drittklässlers). Stattdessen soll der heutige Bericht eine Hommage sein. Eine Hommage an den mythischen Mont Ventoux, aber vor allem eine Hommage an all die Helden, die ihn heute bezwungen haben.
Radfahrer aller Couleur zieht der große Haufen in der Vaucluse scheinbar magisch an. Es sind hunderte, wenn nicht sogar tausende, die sich Tag für Tag aus einem der drei Ausgangspunkte Malaucène, Bédoin oder Sault aufmachen auf diesen exponierten Berg – wir haben ihn die vergangenen Etappen praktisch von jedem Pass aus gesehen. Semiprofessionelle Athleten, die mit surrenden Carbonfelgen im Wiegetritt an uns vorbei drücken, mit unglaublichem Punch. Genauso wie diejenigen Hobbyradler, die vielleicht kein so exzessives Zeitbudget zum Training haben, die ihre 34/32-Übersetzung voll ausgereizt haben und trotzdem mehr schlecht als recht die steilen Rampen hinauf quetschen. Der Schweiß fließt, der Traum vom Ventoux lebt – oder zerplatzt irgendwo völlig ausgepumpt am Straßenrand, die Unterarme am Lenker aufgestützt, den Kopf hängend. Und irgendwo zwischendrin wir, die Helden von quaeldich.de. Im Kleinen haben sich auch in unserer Gruppe Rennradfahrer aller Couleur zusammengefunden, die sich noch am Samstag morgen nicht kannten und nun nach einer gemeinsamen Provence-Woche zu Rennradfreunden fürs Leben geworden sind.
Die fantastische Kulisse, wir kennen sie aus Funk und Fernsehen. Ein Mythos des Radsports. Der Asthmatiker ist hier raufgejoggt (genauso wie Hans vor ein paar Tagen, Chapeau!), Tom Simpson musste anno dazumal sein Leben lassen. Die Felswüste, die Straße, die sich hindurch schlängelt, sie überragt die gesamte Provence, die uns die letzten Tage über ans Herz gewachsen ist, heute liegt sie uns zu Füßen. Die Fotografen mit ihren Visitenkarten, der Rummel an der Passhöhe, das Anstehen am Passchild. Schulterklopfer, High Fives und Jubel für alle, die sich die letzte steile Rampe auf der Südseite hinauf gekämpft haben.
Und dann stehe ich an der Passhöhe, blicke in glückliche Gesichter. Es war ein Kampf für uns alle. Und es ist ein tolles Gefühl, zu sehen wie auch diejenigen in der ausdauernden und der entspannten Gruppe, die nach und nach oben eintreffen, die großen Respekt vor dem Berg hatten, die gestern nach dem Abendessen so schnell wie noch nie auf ihren Zimmern verschwunden sind, ohne das obligatorische
pression oder den Rosé an der Bar, zu sehen, wie das verbissene Gesicht auf den letzten Metern einem glücklichen und zufriedenen Grinsen weicht. Gänsehaut unter den Armlingen. Und für einen Moment blendet man den Rummel aus, die Blicke schweifen in die Ferne, und die Gewissheit stellt sich ein: ich habe den Berg bezwungen!
Ein ganz besonders großes Kudos an diejenigen, die heute die Cinglés-Variante gewählt haben und den Ventoux von allen drei Seiten fahren wollen. Teilweise haben wir sie nach ihrer zweiten Auffahrt am Gipfel gesehen, immer noch voller Esprit und Tatendrang. Ich bin gespannt, was sie heute beim Abendessen zu erzählen hatten.
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Man sieht ihn hier von fast jedem Pass – den 1912 m hohen „Großen Haufen“. Der
Géant de Provence, Mythos der Tour de France, und mit Sicherheit werden einige aus der Gruppe die Reise wegen des Mont Ventoux ausgewählt haben. Ein legitimer Grund, denn auch ohne den Tour-Rummel und die entsprechende Vermarktung wäre der sich hoch über die Provence erhebende Berg ein ganz besonderes Erlebnis. Von Buis geht es wieder mal durchs Ouvèze-Tal bis Malaucène, über den Hügel nach Bédoin, und schließlich die klassische Auffahrt zum Mont Ventoux hoch. 21 km, 1600 Hm – das ist ein Wort. Doch spätestens wenn nach dem Chalet Reynard die berühmte Geröllwüste erreicht ist und das Observatorium vom Gipfel grüßt, wird die Euphorie übernehmen und uns hinauf tragen. Auf der Nordseite fahren wir schließlich ab nach Malaucène und kehren dann nach Buis zurück.