22.11.2016,
majortom:
Nach der Saison ist vor der Saison. Und was gibt es schöneres, als während der regnerischen Herbsttage die Saison des Folgejahres zu planen. Um euch also Anregungen für 2017 zu geben, möchten wir in unserem Reiseblog nun in loser Folge unsere neuen und alten Frühjahrs-Destinationen vorstellen.
Wir beginnen mit der Provence, dem Schauplatz eines Saisonauftakts und einer Trainingswoche.
Provence – jenseits der Sonnenpforte
Wenn ich an Südfrankreich denke, kommt mir immer eine Mittagspause vor einigen Jahren in den Sinn. Mit drei französischen Kollegen unterhielt ich mich über verschiedene Regionen Frankreichs. Genau genommen unterhielten sich die drei, und ich hörte zu, denn für mich ignoranten
allemand ist jenseits des Rheins eben Frankreich, eine Einheit von Brest bis Nizza, und ich hatte ehrlich gesagt nie den Vergleich gezogen, dass es zwischen Bayern und Friesen ja auch Unterschiede gibt. Dann ging es darum, wo die Grenze zwischen Nord- und Südfrankreich verläuft, und Audrey (aus dem Département Nord, eine waschechte
Ch'ti) und Benoît (aus der Nähe von Lyon) waren sich schnell einig. Die Grenze verläuft dort, wo man Terrassen nicht mehr nach Süden, sondern nach Norden baut. Was sofort heftigen Widerspruch von Vincent (aus Nîmes) hervor rief, denn in seiner Heimat baut man gar keine Terrassen.Im Süden, im
midi ist es eine absurde Vorstellung, sich im heißen Sommer überhaupt unnötigerweise der Sonne auszusetzen.
Ist man unterwegs nach Südfrankreich, fährt man vermutlich auf der französischen A7 – der
autoroute du soleil – von Lyon Richtung Provence. Dann kann es sehr gut sein, dass man in Lyon noch mürrich die Scheibenwischer beobachtet, wie sie den Nieselregen zur Seite wischen. Doch regelmäßig wendet sich das Blatt dann bei Montélimar. Die graue Wolkendecke reißt auf, auf einmal strahlt die Sonne, und die Mundwinkel beginnen sich zu heben. Und nur wenige Kilometer später fällt es schon schwer, überhaupt eine Wolke am blauen Provence-Himmel zu finden.
Porte du soleil – Sonnenpforte – nennt sich diese Wetterschwelle; ihr zu Ehren wurde auf einem Autobahn-Rastplatz eine große Sonnenuhr aufgestellt.
Jenseits der
Porte du soleil baut man keine Terrassen mehr.
Das Comtat – Kultur und Köstlichkeiten
Auf der Suche nach einem geeigneten Ort für ein Rennrad-Trainingslager im Frühjahr wird man auf zwei Kriterien achten. Da wäre zum einen maximale Wettersicherheit – wer bei drei Grad und Regen fahren will, kann schließlich gleich zu Hause bleiben. Und zum zweiten natürlich die Möglichkeit, nach Herzenslust schöne Touren zu planen und zu fahren. Verkehrsarme Straßen unter südlicher Sonne, aufregende und abwechslungsreiche Landschaft, vielleicht auch die Möglichkeit zu einem ersten Höhenmeter-Formtest. Auf dieser Suche sind wir auf das
Comtat gestoßen, die Region rund um Carpentras, östlich der bekannten Papststadt Avignon.
Über das Mikroklima der Provence brauchen wir kaum noch Worte zu verlieren. Mehr als 300 Sonnentage im Jahr, die Winter mild, die Sommer heiß. Oft ist es hier auch trocken, wenn sich die übers Mittelmeer peitschenden Stürme an der Küste abregnen. Zypressen, Olivenhaine, blühende Mandelbäume sprechen eine deutliche Sprache: hier kann man auch schon im März oder April mit dem Rennrad seine Runden drehen.
Und auch kulturell ist hier einiges los. Als Standort für unseren Saisonauftakt haben wir das hübsche Kleinstädtchen
L'Isle-sur-la-Sorgue gewählt. Die Sorgue entspringt nur wenige Kilometer weiter östlich aus der
stärksten Quelle Frankreichs – der Niederschlag der gesamten Vaucluse versickert im Kalksteinboden und findet hier seinen Ausgang aus einem ausgedehnten unterirdischen Flusssystem. In L'Isle wurde die Sumpflandschaft der Sorgue durch Kanalisierung trockengelegt und so die namensgebende Insel geschaffen. Heraus gekommen ist ein von malerischen Kanälen durchzogener Ort, der sich auch das „Venedig des Comtat“ nennt. Viele Künstler und Antiquitätenhändler haben sich in L'Isle niedergelassen, und in zahlreichen Bars kann man nach einem kleinen Stadtbummel mit Blick auf die historischen Schaufelräder der Kanäle seinen Pastis schlürfen. Provenzalische Lebensart – check!
Lebensgefühl bietet auch unsere Unterkunft: das komfortable 4-Sterne-Hotel hat eine ausgedehnte Außenanlage in den Auen der Sorgue – hier kann man in idyllischer Umgebung nach der Tour entspannen – und die raffinierte aber authentische Küche im dazugehörigen Restaurant gehört zu den besten der Region.
Plateau de Vaucluse – das unbekannte Rennradparadies
Während das Comtat als Ausläufer des Rhonetals weitgehend flach ist und auch mal die Möglichkeit zu ein paar entspannten, flowigen Rennrad-Kilometern gibt, türmen sich östlich davon die provenzalischen Alpen auf. Allen voran natürlich der
Géant de Provence, das Massiv des bekannen Mont Ventoux, ein Monument, 1912 m hoch und im April eventuell noch schneebedeckt, während man an seinem Fuße in kurz/kurz durch die Weinberge radelt. Im Süden zieht sich der Höhenzug des Lubéron in West-Ost-Richtung, ein einsames, ursprüngliches Waldgebiet, im Sommer regelmäßig durch Waldbrände dezimiert. Im Norden locken die Weinberge des Côtes du Rhône, die Römerbrücke in Vaison-la-Romaine, die Felsen der
Dentelles de Montmirail. Und im Südwesten erheben sich die Alpilles aus der Ebene, die letzte Bastion des Gebirges vor der Camargue und dem Mittelmeer. Alle diese Hotspots sind in schönen Tagestouren von L'Isle aus mit dem Rennrad zu erreichen.
Das Wohnzimmer von L'Isle ist jedoch das Plateau de Vaucluse, das sich direkt hinter dem Ort auftürmt. Darunter sollte man sich keine flache Hochebene vorstellen, denn es handelt sich eher um ein hügeliges Gebiet, an dessen Westrand sich so imposante Schluchten ins Gestein gegraben haben. Die Gorges de la Nesque garantiert atemberaubende Tiefblicke, während die Abfahrt vom Col de Murs einfach richtig gut läuft. Die Route des Indochinois durchzieht ein einsames Waldgebiet, während am Col de Liguière die Lavendelfelder fast bis zum Horizont reichen. Überhaupt kommen in der Provence zu den visuellen Reizen oft auch betörende Gerüche dazu – nach wildem Thymian im Straßengraben, oder nach
tapenade zum
apéro. Und möchte man abseits des Rennrads etwas erleben, bietet sich ein Besuch des mittelalterlichen Dorfes Gordes oder der gelben
Ockerfelsen von Roussillon an.
Das Menu ist also bereitet. Frühe Sonne, frühe Rennradkilometer. Saisonauftakt in der Provence.