09.10.2014,
Jan:
Was für eine Dramatik heute am Pico del Veleta... Morgens sah alles nach einem wenig sonnigen und daher nicht ganz so heißen Tag aus, perfekt um die Herausforderung Veleta mit knapp 2800 Hm am Stück anzugehen. Wolken hängen über Granada, als sich die Gruppe 2 (aus der ich heute berichte) heute morgen um 9 Uhr vor dem Granada Palace zur Abfahrt sammelt.
Der Guidewechsel wurde nur unter großem Murren vollzogen, die Gruppe 2-Teilnehmer und vor allem -Teilnehmerinnen wollten ihren Kultur- und Sprachattaché Hagen nicht ziehen lassen. Sie mussten. Nur ungefähr drei Kilometer geht es vom Startort Monachil wellig dahin, bevor wir mit dem ersten Teil des Anstiegs über El Purche zum Collado del Muerte konfrontiert werden. Im Anfangsabschnitt geht es gleich ordentlich zur Sache, nur kurz vor El Purche wird es noch steiler. Aber landschaftlich ist es gleich sehr schön, die Bebauung schnell hinter uns gelassen, und das Sonne- Wolkenspiel herrlich anzuschauen. Die Wolken haben also schon ein kleines Fenster zum Himmel geöffnet, recht willkommen, denn es wird nun angenehm warm.
Ich lasse mich in der Gruppe von hinten nach vorne durchreichen, so recht reden will keiner mit mir (Hagen ist noch nicht vergessen), daher beschränke ich mich zunächst aufs Fotos machen. Erst Natalie am Tête de la Groupe hat ein Einsehen und so pedalieren wir gemeinsam bis ins Steilstück nach El Purche, wo die erste Fotoserie des Tages ansteht. Das Steilstück ist wirklich übel, die meisten haben aber doch ein Lächeln für mich über. Passend zum Fotostop schließt hier auch Gruppe 08/15 auf uns auf, und sehen mich stehend (ein erster Punkt auf der Hagen-Vergleichs-Skala, denn den haben wir in den letzten Tagen auch immer nur stehend gesehen).
Die Morgenstimmung hinter El Purche ist wunderbar. Die Wolken haben sich hier schon weitestgehend verflüchtigt, die Straße ist schmal, es geht leicht durch Weideland, erst bergab, dann bergauf zum Collado del Muerte – wunderbar!
Ich muss zusehen, dass ich meinen Gruppenkopf einfange, damit der sich nicht auf die Hauptstraße zum Pico verirrt. Am Abzweig an der Touri-Info kann ich Natalie gerade noch stellen, Gernot ist zwar schon um die Kurve, aber noch in Rufweite. Und die weiter vorn fahrenden Lutz, Sonja und Martin wurden heute morgen noch mit einem Track versorgt. Es läuft!
Am Abzweig (auf ca 1700 m Höhe) folgt dann auch die zweite Fotoserie, die aber panoramahalber nicht so ergiebig ist. Ab hier orientiere ich mich nach hinten, jetzt kann sich niemand mehr verfahren. Wir durchfahren einen Wald, passieren die 1750-m-Marke (alle 250 Hm gibt's ein Schild), treten aus dem Wald heraus und haben im nächsten Abschnitt spektakuläre Blicke auf die geschlossene Wolkendecke unter uns, die zwar Granada verdeckt, aber dennoch ein sensationelles Panorama bietet. Es folgt Fotoserie auf Fotoserie, bevor ich mich vor Andrea in den aufkommenden Wind stelle und am Skiort Pradollano vorbei geleite. Hässlich ist der Ort, aber aus unserer Richtung lange in einer Talfalte verborgen, so dass er nicht groß stört.
Kalt ist es – schon länger fahre ich mit Ärmlingen, auch wenn die Temparaturen noch weit im zweistelligen Bereich liegen.
Eine Teilnehmerin kommt uns entgegen. Ihr ist es zu kalt, sie dreht um. Eine kluge Entscheidung, wie sich bald herausstellt.
Hier pfeift der Wind, Dietmar hat sich schon Winterjacke und -hose angezogen, er war schon oft genug auf dem Veleta und wartet hier bis die erste Gruppe wieder runter fährt.
Ich stecke noch Jacke und eine zweite Windweste in den Rucksack und setze nach einer längeren Verpflegungspause meiner Gruppe nach. Am Militärposten (Todo por la patria) passieren wir die Schranke, die den letzten Abschnitt auf den Veleta einläutet. Natürlich ist mir bekannt, dass die Straße sich teils in Auflösung befindet, und so bin ich auch nicht überrascht, als schon bald die erste grob geschotterte Passage folgt, die wie die weiteren aber immer kürzer als 100 m ist. Womit ich allerdings nicht rechne, ist der Wind. Auch wenn es sich an Pradollano vorbei und erst recht an der Verpflegung vor der Schranke schon abgezeichnet hat, dass er stark bläst... was uns hier trifft, habe ich vorher noch nicht erlebt. Tatsächlich ist der Wind in den Passagen, wo sich der Asphalt auflöst, am stärksten, das muss einen Zusammenhang haben. Häufig bläst er kaminartig in die Einschnitte hinein, durch die die Straße läuft, besondere Angriffsfläche bieten wir auch in den Kehren. Hier ist mir besonders mulmig, und erstmals bin ich um jedes Kilo froh, dass mich stärker auf die Straße drückt und mir einen gewissen Halt liefert. An einer Stelle bläst der Wind so arg über das tiefe Kiesbett, dass ich fünf Meter schieben muss.
Besondere Sorgen mache ich mir um unsere leichten Damen (nein... nur vom Gewicht her leicht), die diesen Anpressdruck nicht mitbringen, die aber alle vor mir sind und wie ich den Gezeiten ausgeliefert. Zum ersten Mal überhaupt habe ich Angst auf dem Rad.
Dass sich die Wolkendecke unter uns immer weiter verzieht, und Granada weit, weit unter uns nun frei sichtbar ist, kann ich zwar wahrnehmen, aber nicht genießen. Ich muss den Lenker festhalten. In den weniger windigen Passagen gelingen mir noch ein paar Fotos. Immer weiter schraubt sich das Asphaltband und das, was davon übrig ist, in die Höhe, auf knapp 3000 m Höhe kommen mir die ersten Teilnehmer entgegen, wir halten und sprechen kurz, alle sind froh, wenn sie wieder unten an der Schranke in der Zivilisation sind. Viele frieren, Lutz kann ich noch mit einer Windweste aushelfen. 950 m vor dem Gipfel ist der Asphalt dann zu Ende, aber die Schotterstraße ist für mich leichter zu fahren als die Schuttpassagen, die der auflösende Asphalt hinterlassen hat.
Die letzten 50 m zum Gipfel sind unmöglich zu fahren, hier liegen große Steine, die ein Weiterfahren unmöglich machen. Oben am Gipfel stehen noch Hagen und Ulf, alle anderen sind abgefahren. Hagen kann berichten, dass dieser Sturm alles andere als normal ist. Solche Winde hat auch er hier noch nicht erlebt.
Ehrlicherweise glaube ich nicht mehr, dass noch weitere Teilnehmer meiner Gruppe den Weg nach oben finden, und fahre mit Ulf und Hagen ab. Aber nacheinander ziehen Ramon und Franz an mir vorbei, so dass ich stehen bleibe, um sie in der Abfahrt nach hinten abzusichern. Hier ist es besonders sinnvoll, einen Reifen in Reserve zu haben. Dann zieht Andrea an mir vorbei, die mit einer unglaublichen Willensstärke gen Gipfel strebt. Da muss ich natürlich noch einmal mit hoch, und als auch Philip noch eintrifft, machen wir Jubelbilder am Gipfel.
Die Abfahrt ist dann wirklich das grenzwertigste, was ich je auf dem Rennrad gemacht habe. In den Kehren, in denen wir wieder in den Wind biegen, muss man sich mit aller Kraft in den Wind legen, und ich orientiere mich weit links, um sicher auf der Straße zu bleiben.
Endlich erreichen wir die Schranke, und ich bin froh und dankbar, dass alle sicher unten angekommen sind. Abends diskutieren wir noch, ob und wie man die Teilnehmer bei dem Wind besser auf die Befahrung des letzten Stücks hätte warnen sollen, eine schwierige Frage, auf die wir auch keine rechte Antwort haben. Fakt ist, dass weder die Steigung, noch der Höhenunterschied, noch der Belag hoch auf den Veleta grenzwertig sind. Alles auch in der Summe überhaupt kein Problem, alles eine willkommene Herausforderung. Der heutige Wind aber war grenzwertig, und die Befahrung das krasseste, was ich je auf dem Rennrad gemacht habe.
Entsprechend vorsichtig gehen wir die weitere Abfahrt an. Wir sind noch zu siebt, der Rest ist schon im Hotel, wie Hagen mir per SMS mitteilt, als wir gerade an der Schranke losfahren. Die Abfahrt aber ist überall windgeschützt, und so können wir den freien Fall hinunter Richtung Granada genießen. So muss sich Felix Baumgartner bei seinem Weltallsprung gefühlt haben – Granada unter uns ist jetzt völlig von Wolken befreit, die Blicke und das Gefühl sind unbeschreiblich. Am Abzweig nach Güejar sammeln wir noch Stefan ein, und zu acht geht es über die herrlich schmale Straße hinunter in unseren Zielort.
Der Abend wird lang, die Stimmung ist gelöst, heute haben wir was zu feiern. Salud!
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